Online-Therapie: Was spricht dafür?

Auch im Bereich Care stellt sich die Online-Frage.

Die einen haben langsam genug. Die andern sehen in Video-Gesprächen die Zukunft. Andi Zemp* führt Psychotherapien seit 2013 auch online durch. Im Interview mit der Journalistin Cornelia Eisenach wägt er Vor- und Nachteile ab. Für Carelink und Care fügt er eine weitere Dimension hinzu.

Andi Zemps Aussage kommt unerwartet: Online geben die Menschen in den Therapiegesprächen schneller mehr von sich preis. Das Interview, das die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Eisenach für die NZZ am Sonntag mit ihm geführt hat, bringt weitere bedenkenswerte Aspekte der Online-Therapie glasklar auf den Punkt. Die NZZ am Sonntag und die Autorin haben Carelink die Wiedergabe des Beitrags erlaubt, der am 17. April 2021 zuerst online erschienen ist.

Vor dem Hintergrund von Care erhält das Interview eine weitere Dimension. Andi Zemp plädiert am Telefon dafür, die Online-Option auch für Care zu nutzen. Eine «differenzielle Indikation» sei dabei wichtig: Wie in der Psychotherapie gelte es auch im Bereich von Care und Notfallpsychologie zu unterscheiden, welcher Kommunikationsweg sich für wen und für welches spezifische Thema eigne: «Wann ist online auch gut, vielleicht sogar besser oder letztlich besser als gar nichts? Das sind Fragen, die sich dabei stellen.»

Andi Zemp spricht am Telefon noch vom «Talking-to-a-stranger-Effekt» und schliesst damit an das Interview in der NZZ am Sonntag an: Wer sein Gegenüber nicht kenne und mit dieser fremden Person, zum Beispiel auf einer Zugsfahrt, ins Gespräch komme, öffne sich eher. «Ähnlich ist es online: Eine Person ist weniger abgelenkt, als wenn sie in eine Praxis kommt, wo etwa die Inneneinrichtung und die Farbe der Wände doch schon sehr viel aussagen und Botschaften aussenden.» Dadurch fällt es ihr möglicherweise leichter, sich auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu fokussieren und diese offen zu artikulieren. Eine Online-Therapie oder psychosoziale Nothilfe per Video kann also unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen durchaus zum angestrebten Ziel führen.

* Andi Zemp ist Psychologe, Notfallpsychologe und Psychotherapeut. Er betreibt in Bern seine eigene psychotherapeutische Praxis und arbeitet als Vertrauenspsychologe für verschiedene Unternehmen und Organisationen. Seit 2005 wirkt er im Freiwilligenteam von Carelink mit. Zudem ist er Dozent für Notfallpsychologie in der Aus- und Weiterbildung «Care&Peer Practice» (CPP), die Carelink im Auftrag des Koordinierten Sanitätsdienstes (KSD) organisiert und koordiniert.

Das Schicksal kann hart sein. Eine junge Frau spricht darüber im Carelink-Webcast.

Demnächst wird sie 24, ihr Bruder ist zwei Jahre jünger. Im neusten Carelink-Webcast berichtet Cliona, wie sie vor sieben Jahren ihren Vater durch Suizid und vor einem Jahr ihre krebskranke Mutter verloren haben und wie sie persönlich damit umgeht. Wie hat sie ihre eigenen Kräfte geweckt, wie verarbeitet sie das alles?

Cliona spricht ganz ruhig und sehr überlegt. Begriffe wie Resilienz, Selbstwirksamkeit oder Wiederermächtigung braucht sie nicht. Aber genau darauf laufen ihre beeindruckenden Schilderungen hinaus: auf das Weitergehen aus eigener Kraft, wie es Carelink bei Bedarf fördert. Cliona hat ihre Methoden aus eigenem Antrieb entwickelt.

Wir empfehlen Ihnen diesen 19-minütigen Webcast sehr!

Diese Haltung liegt allem zu Grunde.

Die Carelink-Freiwilligen bekennen sich alle zu den gleichen Grundsätzen.

Wer sich mit Carelink befasst, weiss es: Carelink kann schweizweit bis zu 350 ausgebildete Freiwillige aufbieten. Das ist für den Fall eines Grossereignisses wichtig. Ein Viertel sind Notfallpsychologinnen und -psychologen. Doch welche Haltungsgrundsätze verbinden die Freiwilligen? Ein kurzer Einblick.

Es kann nur wirken, was gemeinsam angestrebt und gelebt wird. Deshalb durchlaufen alle Mitglieder des Freiwilligenteams nach dem Aufnahmeverfahren zuerst eine viertägige Grundausbildung. „Danach“, so Petra Strickner, Leiterin Freiwilligenteam und Notfallpsychologie, „stehen ihnen unterschiedliche Weiterbildungsmöglichkeiten offen.“ Die einen werden zu Teamleaders, andere bevorzugen, mit Blick auf ein allfälliges Grossereignis, eine Spezialisierung aufs Backoffice oder aufs Callcenter.

Eines indes bleibt immer gleich: „Bereits im Einführungskurs“, fährt Petra Strickner weiter, „vermitteln wir den Freiwilligen die Haltung, die sie bei jedem Einsatz einnehmen werden.“ Sechs Punkte sind es, zu denen jedes Mitglied des Freiwilligenteams sein Einverständnis geben muss:

  • Ich zeige den Betroffenen gegenüber Wertschätzung in Form von Achtung, Wärme und Rücksichtnahme.
  • Ich bin empathisch, indem ich mich um einfühlendes Verstehen der inneren Welt der Betroffenen bemühe.
  • Ich bin um Echtheit bemüht.
  • Ich anerkenne, dass jede erdenkliche Reaktion der Betroffenen in diesem Augenblick Sinn macht.
  • Ich bin um meine eigene seelische und körperliche Gesundheit besorgt und bin mir meiner Grenzen bewusst.
  • Meine innere Haltung ist Zuversicht. Ich traue den Betroffenen zu, diese Krise zu bewältigen.

Die Haltung der Freiwilligen kommt, da sie derart zentral ist, immer wieder zur Sprache. Sie ist nicht nur ein wichtiger Punkt in der Rekrutierung und in der Aus- und Weiterbildung, sie wird auch in Einsatznachgesprächen, Fallbesprechungen und Supervisionen immer wieder angesprochen und überprüft. Damit schafft Carelink ein gemeinsames Verständnis – und vor allem qualitative Kontinuität.

Im Spital ist alles sehr anders in diesen Zeiten.

Ethikerin und Theologin Karin Kaspers Elekes im Gespräch

Wie kann ein Spital zu Corona-Zeiten Mitarbeitende und Angehörige entlasten? Die Pädagogin und Theologin Karin Kaspers Elekes* ist auch in psychologischer Nothilfe und in «Spiritual Care» ausgebildet. Am Kantonsspital Münsterlingen gehört die Leitung des Ethikforums zu ihren Aufgaben. Karin Kaspers Elekes spricht von Vertrauen als Ressource – auch von Beziehung und früher Trauer.

Die zweite Corona-Welle ist heftiger als die erste. Falls die Kapazitäten auf den Intensivstationen nicht ausreichen sollten, könnten die Pflegenden und Behandelnden mit ethischen Fragen konfrontiert werden, wie sie während der ersten Corona-Welle diskutiert wurden. Wie lösen Sie dieses allfällige Dilemma am Kantonsspital Münsterlingen?

Karin Kaspers Elekes: Dilemmata haben es an sich, dass sie – welche Lösung auch immer angestrebt wird – keine «Ideallösung» kennen. Wir versuchen in höchstem Masse, Kapazitäten an die sich abzeichnende Situation anzupassen. Vorausschauende, flexible Planung in aller Planungsunsicherheit, so würde ich die Strategie nennen.

Sehr wesentlich erscheint mir überdies die bereits in der ersten Welle geleistete, breit abgestützte ethische Reflexion von Entscheidungskriterien und -strukturen, falls sich im Lauf dieser Pandemieperiode die Ressourcen verknappen sollten.

Für schwierige, existenzielle Krisensituationen haben wir ein Kriseninterventionsteam eingerichtet. Darin sind die Kompetenzen so verteilt, dass besonders betroffene Bezugspersonen ebenso profitieren können wie Teams und einzelne Mitarbeitende.

Überhaupt: Wie unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden in diesen anspruchsvollen Zeiten?

Karin Kaspers Elekes: Die Sorge, mit Situationen konfrontiert zu werden, in denen es schwierig oder unmöglich wird, den ethischen Ansprüchen auch an die eigene Person gerecht zu werden, macht etwas mit den Menschen, schon bevor es zu einer solche Herausforderung kommt. Darum ist das Vertrauen innerhalb der interprofessionellen Behandlungsteams derzeit eine wichtige Ressource. Offen Fragen zu stellen, Skepsis rechtzeitig zu äussern und manchmal auch einen schweren Entscheid miteinander zu tragen, das stärkt sowohl die Teams als auch die einzelnen Teammitglieder. Was bedeutet, dass unter den erschwerten Bedingungen die Kommunikation im Team besonders wichtig ist.

Aber auch Gespräche im Sinn notfallpsychologischer Interventionen nach aussergewöhnlich belastenden Situationen können helfen. Am Kantonsspital Münsterlingen bieten wir den Mitarbeitenden diese Unterstützung rund um die Uhr an. Und auch wenn über spirituelle Ressourcen nicht so oft gesprochen wird: In Krisenzeiten werden sie auch bei professionell im Gesundheitswesen Tätigen zum Thema.

Wie gehen die Menschen in Ihrem Umfeld mit Trauer um, wenn sie die sonst üblichen, stabilisierenden Abschiedsrituale nur eingeschränkt, wenn überhaupt, vollziehen können?

Karin Kaspers Elekes: Trauernde haben derzeit wenig Raum, um ihre Verlusterfahrungen mit anderen zu teilen. Und das in einer Gesellschaft, in der die Angst vor dem Sterben das «Klima» aktuell dauerbelastet. Zudem trauert diese Gesellschaft gerade um ihre Sicherheit, die sie lange Zeit als normal betrachtet hat.

Nach meiner Erfahrung führt dies einerseits dazu, dass Trauerrituale noch individueller gestaltet werden, weil die traditionellen Abschiedsrituale unter den aktuellen Bedingungen nur schwer gelebt werden können. Andererseits ziehen sich Trauernde vermehrt zurück, die Resonanzräume für ihre Erfahrungen sind begrenzt auf Grund des «Social Distancing». Nicht selten bekommen Trauernde auch die Angst von Menschen zu spüren, sich zum Beispiel mit dem Coronavirus anzustecken – selbst wenn ein ganz anderer Sterbegrund vorliegt. Nicht wenige Trauernde erzählen heute, Skepsis zu begegnen und gemieden zu werden.

Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Menschen, die in tragenden Beziehungen zu Nachbarn und Freunden leben, berichten von starker Unterstützung in der Abschiedsphase, die sich oft ganz konkret zeige: Einkaufen, Kochen – was eben gerade anstehe, werde ihnen abgenommen. Der Philosoph Martin Buber sagte wohl berechtigt: «Das ganze wirkliche Leben ist Beziehung.»

Da sind Sie mit divergierenden Bedürfnissen konfrontiert.

Karin Kaspers Elekes: Wir legen viel Wert auf das Angebot, Angehörige bereits früh und kontinuierlich zu begleiten, auch wenn noch nicht unbedingt zu erwarten ist, dass ein kranker Mensch sterben wird. Trauer beginnt viel früher.

Wir nehmen die antizipierende Trauer von Patientinnen und Patienten sowie von deren Bezugspersonen sehr ernst, ihre psychischen und spirituellen Bedürfnisse – vor allem unter den derzeit gegebenen Bedingungen eingeschränkter Kontaktmöglichkeiten während eines Spitalaufenthalts. Wie Trauer und Abschied gelebt werden können, das entscheidet letztlich mit über die Rückkehr in das durch den Verlust eines Menschen veränderte Leben.

* Karin Kaspers Elekes ist diplomierte Pädagogin und Theologin. Sie ist zudem in psychologischer Nothilfe ausgebildet und hat sich kürzlich zum «Master of Advanced Studies (MAS) in Spiritual Care» weitergebildet. Der berufsbegleitende Lehrgang der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, den sie inzwischen mitleitet, befähigt im Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Tod zum Einbezug der spirituellen Dimension: https://spiritual-care.weiterbildung.unibas.ch/de/home/

Dem Tod sehr nahe sein – Webcast mit Judith Brauneis

Anstelle der abgesagten Freiwilligentagung hat Carelink diesen Webcast mit Patrick Rohr, Moderator, und Judith Brauneis, Sektionsassistentin, Trauerbegleiterin und Caregiverin, produziert. Ein spannender Einblick in einen nicht ganz alltäglichen Beruf!

Was hat Resilienz mit Humor zu tun? Der erste Carelink-Webcast für Sie.

Er hat Covid-19 überstanden, durchlebt beruflich anspruchsvolle Zeiten – und ihm gehe es gut, sagt Unternehmensberater Urs Brütsch. Zusammen mit Prof. Dr. Ulrike Ehlert, Professorin am Psychologischen Institut der Universität Zürich, ist er zu Gast im ersten Webcast, den Carelink veröffentlicht.

Wie kann ein Mensch so optimistisch sein, wo er gleich zweimal hintereinander Schwieriges erlebt? Ulrike Ehlert spricht von physischer und psychischer Widerstandsfähigkeit, von Resilienz.
Doch was hat Resilienz mit Vertrauen zu tun, was mit Humor, Selbsterkenntnis und Ideenreichtum?

Sehen und hören Sie sich das rund zwanzigminütige, von Patrick Rohr moderierte Gespräch an:

Körperübungen für Gehirn und Gefühle

Eine App kann helfen. Auch Traumatisierten.

Wer würde nicht gern die Zauberformel gegen Angst, Aufregung oder fehlende Zuversicht kennen? Dr. med. Claudia Croos-Müller ist Neurologin und Psychotherapeutin und hat mit Body2Brain® eine wirksame Methode «erfunden». Sie lässt sich als kostenlose App herunterladen – und sie kann helfen.

Die Methode von Claudia Croos-Müller hat in ihren Einzelteilen bereits in viele Psychotherapieformen Eingang gefunden und wird interessierten Fachpersonen auch in Workshops vermittelt. Body2Brain®, als App herausgegeben von der Verlagsgruppe Random House GmbH, zeigt in sehr einfachen Übungen, wie Körper und Geist zusammenspielen und wie der Körper helfen kann, den Geist spürbar zu regulieren und Emotionen zu stabilisieren.

Gemäss Claudia Croos-Müller lässt sich ihre Methode nicht nur zur Alltagsbewältigung anwenden, sondern auch als prophylaktische Massnahme im Sinne von Selbstschutz und Erhalt der seelischen Gesundheit. Body2Brain® eignet sich für unterschiedliche Kontexte, so zum Beispiel für die Schule oder den Arbeitsplatz. Für Traumatisierte hat die Ärztin darüber hinaus ein «Body2Brain First Aid Kit» zusammengestellt, das zur Selbsthilfe anleitet.

Die Übungen bestechen durch ihre Einfachheit! Und wer immer jetzt Lust aufs unkomplizierte Ausprobieren hat, sollte die kostenlose App herunterladen und loslegen. Das vielleicht kindlich anmutende Schaf, das die Übungen illustriert, soll dabei nicht irritieren. Die Wirkungsweise der Übungen wird jeweils neurowissenschaftlich erklärt und so die Wechselwirkung zwischen Körper und Gehirn bewusst gemacht.

Die beiden Carelink-Fachfrauen Regula Lanz und Petra Strickner, die sich in Notfallpsychologie sehr gut auskennen, haben sich mit der Methode befasst und Body2Brain® ausprobiert: Ihrer Ansicht nach können die Übungen stabilisierende Interventionen ergänzen. Sie empfehlen die Methode als Möglichkeit für Betroffene und Helfende, wieder handlungsfähig zu werden und der eigenen Hilflosigkeit zu entkommen. Die vorgeschlagenen Übungen seien keine Zauberformel, vielmehr eine weitere Zutat in der hohen Kunst der Krisenintervention und der Notfallpsychologie.

App: Body2Brain®
Mehr zu Body2Brain® und zu Claudia Croos-Müller: www.croos-mueller.com

«Wer selbst sicher ist, kann Sicherheit geben.»

Buchautorin Barbara Preitler zum Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen.

Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, brauchen Hilfe. Wie können ihnen Helferinnen und Helfer sinnvoll und wirksam begegnen? Die Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Barbara Preitler macht Mut. Der Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen hat auch Parallelen zur Notfallpsychologie.

Kleinste Gesten gegenüber Flüchtlingen können wirken. Viele haben den Zusammenbruch aller Sicherheiten erlebt. Sie können Sicherheit wieder erfahren durch sichere Begegnungen, offene Information und klare Grenzen, aber auch indem Versprechen ihnen gegenüber eingehalten werden oder indem sie sich einen imaginären inneren Ort schaffen, an dem sie sich geborgen fühlen.

Barbara Preitler beschreibt das alles in ihrem Buch «An ihrer Seite sein»*. Sie macht die Leserinnen und Leser Stück für Stück und leicht verständlich mit dem Grundwissen der Psychotraumatologie von Flüchtlingen vertraut. Darauf aufbauend, zeigt sie, wie ihnen Helferinnen und Helfer gegenübertreten können. Konkret stellt sie zehn Folgen von Traumatisierungen und mögliche Gegengewichte dar.

Das Buch versteht sich als Ratgeber und Leitfaden für freiwillige Helferinnen und Helfer, schafft Zuversicht und motiviert, sich auf zwischenmenschliche Begegnungen einzulassen, dem eigenen Tun zu vertrauen und so der Ohnmacht im Umgang mit diesen Themen zu entkommen. Carelink hat dazu noch ein paar Fragen an Barbara Preitler gerichtet:

Frau Preitler, Sie forschen unter anderem zu Extremtraumatisierungen, wie sie durch Folter und Krieg entstehen können, und zu interkultureller psychologischer und therapeutischer Betreuung. Was war der konkrete Auslöser für das Buch «An ihrer Seite sein»?

Barbara Preitler: Ich arbeite seit mehr als 25 Jahren als Psychotherapeutin bei Hemayat – das ist ein Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien. Aus dieser praktischen Erfahrung und aus der Forschung weiss ich, wie wichtig es ist, Menschen, die nach schweren Traumata um Hilfe bitten, diese so schnell wie möglich zu geben. Aber da stossen wir selbst in einem reichen mitteleuropäischen Land wie Österreich schnell an unsere Grenzen. Wir haben eine lange Warteliste für die Psychotherapie.

Doch es braucht nicht immer professionelle Hilfe. Ich bin überzeugt, dass Menschen, die durch andere Menschen traumatisiert worden sind, vor allem eines brauchen: heilsame Begegnungen, oder noch besser: heilsame Beziehungen. Und die können überall stattfinden, wo Menschen sich begegnen.

Der Umgang mit Flüchtlingen, wie Sie ihn beschreiben, ähnelt notfallpsychologischen Interventionen. Menschen etwa erzählen zu lassen, was sie erlebt haben, dürfte in beiden Situationen eminent wichtig sein, oder nicht?

Barbara Preitler: Das Leben vieler Flüchtlinge ist geprägt von vielen Traumata. Daher wären sie eigentlich immer wieder in Situationen, wo notfallpsychologische Intervention sehr hilfreich wäre. Leider werden aber die meisten Flüchtlinge selten oder gar nicht so behandelt. Oft sogar im Gegenteil:

Nach einer lebensgefährlichen Flucht dürfen sie überfüllte Schiffe nicht verlassen oder werden in gefängnisartiger Unterbringung auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft – meist ohne irgendeine Form der psychosozialen Unterstützung.

Einen sicheren und ruhigen Raum zu geben, damit erzählt werden kann, ist nach traumatischen Situationen immer günstig. Wichtig ist aber auch, dass auch geschwiegen werden darf. Es sollte ein Beziehungsangebot da sein, in dem erzählt werden darf, aber nicht muss. Die betroffene Person soll für sich entscheiden können, was und wann sie über das Erlittene berichten will. Die zuhörende Person hilft zu strukturieren und zu verstehen.

Die Möglichkeiten, zu intervenieren und zu unterstützen, scheinen so einfach zu sein. Sie sagen, dass es für den würdevollen und anerkennenden Umgang mit Flüchtlingen kein Psychologie-Studium brauche. Ist dieser Umgang tatsächlich so leicht und einfach?

Barbara Preitler: Ja und nein. Würdevoll und anerkennend mit Menschen umzugehen, egal woher sie kommen, sollte eine mitmenschliche Selbstverständlichkeit sein. Und dazu sind wir ja auch alle befähigt. Manchmal wird auch durch uns «Profis» zu viel Angst geschürt, dass traumatisierten Menschen nur mit spezieller Vorbildung begegnet werden könne. Das ist aber auch entwürdigend, da diese Haltung ausser Acht lässt, dass traumatisierte Menschen zwar verletzt, aber nach wie vor «normal» sind. Wir können die Analogie zur körperlichen Verletzung nutzen: Mit einem Menschen, der sich das Bein gebrochen hat, reden wir ja auch normal weiter.

Anders als bei einer körperlichen Verletzung sind die seelischen Verletzungen aber viel versteckter – oft auch für die Betroffenen selbst. Daher gilt es natürlich auch, gewisse Regeln zu befolgen.

Wie schaffen Sie es, Ihre zuversichtliche Haltung in der Arbeit mit Flüchtlingen zu wahren?

Barbara Preitler: Das liegt zum einen an den Menschen, denen ich in dieser Arbeit begegne. Immer wieder erlebe ich, dass Menschen trotz allem, was sie erlitten haben, hoffnungsvoll in die Zukunft sehen und sich mit Elan und Freude ein neues Leben aufbauen. Den Sinn meiner therapeutischen Arbeit kann ich daher immer wieder sehen.

Aber es ist auch wesentlich, gut auf sich selbst zu achten. Bei allem, was ich tue, ist es wichtig, den Menschen Sicherheit zu geben. Und ich kann nur sichere Begegnungen und sichere Beziehungen anbieten, wenn ich selbst sicher bin. Daher meine Bitte an alle, die sich für Menschen in Not engagieren: Tun Sie sich selbst etwas Gutes, damit Sie, wo es erforderlich ist, gefestigt und sicher für andere da sein können.

Barbara Preitler: «An ihrer Seite sein»
Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen
Studien Verlag
4. Auflage 2017
ISBN-10: 3706555875
ISBN-13: 978-3706555876

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was ist Notfallpsychologie?

Die Notfallpsychologie ist ein Teilgebiet der wissenschaftlichen Psychologie und befasst sich mit den psychologischen Folgen von belastenden und potenziell traumatisierenden Ereignissen. Wenn durch schwerwiegende Ereignisse die persönlichen Grundannahmen von Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Handhabbarkeit erschüttert werden, ist das oberste Ziel ein angemessener Umgang mit Betroffenen, um Traumafolgestörungen zu verhindern. Aus diesem Grund werden NotfallpsychologInnen postgradual aus- und weitergebildet. Die Hauptaufgaben dieser Fachpersonen sind:

  • Schulungen von Careteams sowie Blaulicht- und Notfallorganisationen in psychosozialer Nothilfe
  • Krisenintervention nach belastenden Ereignissen
  • Mitwirken als Teil eines Careteams bei Grossschadensereignissen inklusive Aufarbeitung

Von einem traumatischen Ereignis kann gesprochen werden, wenn das Erleben von:

  • tatsächlichem oder drohendem Tod
  • einer ernsthaften Verletzung oder Gefahr der körperlichen Unversehrtheit
  • sexueller Gewalt

stattgefunden hat.

 

Die möglichen Formen können sein:

  • direkte Erfahrung
  • persönliche Zeugenschaft
  • in der Familie/ bei Nahestehenden
  • die wiederholte Konfrontation mit aversiven Details

Beispiele für mögliche Situationen im privaten oder unternehmerischen Umfeld sind:

Überfälle, Unfälle, Suizide, sexuelle Übergriffe, Gewaltandrohungen, schwere Erkrankungen, plötzliche Todesfälle, Naturkatastrophen, Terroranschläge, etc..

Dies sind Ereignisse oder Situationen aussergewöhnlicher Bedrohung (kurz- oder langdauernd) oder katastrophalen Ausmasses, die bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würden.

Es können verschiedene Gruppen von Betroffenen unterschieden werden, zum Beispiel Kinder und Jugendliche, Erwachsene und professionelle Helfende, deren unterschiedliche Bedürfnisse in der Betreuung berücksichtigt werden.

Die Notfallpsychologie unterstützt Betroffene dabei, ein Gefühl der persönlichen Bedeutung, Integrität und Würde zu erlangen. Es wird Hilfe zur Wiedererlangung des Gefühls der Sicherheit, Kontrolle und Vorhersehbarkeit angeboten. Das Wiederermächtigungsmodell ist hierbei handlungsweisend für sämtliche Interventionen. Die Grundhaltung dahinter ist, dass Menschen im Allgemeinen fähig sind, Krisen zu bewältigen, wenn sie kompetent unterstützt werden.

Hierbei wird stabilisiert und normalisiert und vorerst nicht diagnostiziert oder pathologisiert. Eine Kernaussage der Notfallpsychologie ist: «Jede Reaktion ist normal. Die Situation ist abnormal. Und nicht umgekehrt.»

An dieser Stelle kann auf die Abgrenzung zur Psychopathologie bzw. Psychiatrie hingewiesen werden: NotfallpsychologInnen gehen davon aus, dass die Betroffenen psychisch gesunde Menschen sind, die einer Situation ausgesetzt wurden, welche eine mögliche seelische Verletzung verursachen kann.

Statistisch gesehen, ist beinahe jeder Mensch einmal im Leben einem potenziell traumatischen Ereignis ausgesetzt. Das Ergebnis hängt sehr vielschichtig von Ereignisfaktoren, Schutzfaktoren, Risikofaktoren und der gesellschaftlichen Anerkennung ab.

Das Wissen um all diese wichtigen Faktoren und die entsprechende Umsetzung in der Krisenintervention machen die Notfallpsychologie zu einem unverzichtbaren Teil der Bewältigung kritischer Ereignisse.

Basis-Unterstützung durch Merkblätter.

COVID-19: Carelink publiziert kurze Anleitungen.

Was ist zu tun, wenn das Home ein Office werden muss? Wie gehe ich mit häuslicher Isolation um? Und wie führe ich aus Distanz? COVID-19 hat viele Fragen psychologischer Natur aufgeworfen. Carelink antwortet – unter anderem – mit Merkblättern.

Alles war neu, und alles musste schnell gehen. Die COVID-19-Pandemie und der Lockdown haben Privatpersonen und Unternehmen vor neue psychologische Fragen gestellt. Carelink hat darauf Antworten publiziert: „Wir haben gemeinsam mit Fachleuten einfache Merkblätter zusammengestellt, die wir sowohl an die Kunden verschickten als auch auf unserer Website veröffentlichten“, sagt Dominique Rüfenacht. Sie verantwortet für Carelink die Kundenbeziehungen und die Kommunikation.

Eines der Merkblätter enthält Tipps fürs Home Office, ein zweites unterstützt in der häuslichen Abschottung und ein drittes beim unternehmerischen Führen. „Alle drei sind sehr gut aufgenommen worden“, fasst Dominique Rüfenacht zusammen. „Wir tragen uns mit der Idee, solche Merkblätter für weitere Situationen und Themen zu verfassen. Damit können wir unseren Kunden sehr schnell und wirkungsvoll eine Basis-Unterstützung bieten.“

Der Carelink-Dienst am Kunden ging und geht in diesen Zeiten der COVID-19-Pandemie natürlich weit über das Verfassen und Verteilen der Merkblätter hinaus. Lesen Sie dazu den Artikel „COVID-19 und Carelink: ausserordentlich“