Notfallpsychologische Unterstützung in der Ukraine

35 ukrainische Schulpsychologinnen und -psychologen nahmen jede Woche drei bis vier Stunden lang an webbasierten notfallpsychologischen Trainings und Supervisionen teil. In der Ukraine, teils mitten im Kriegsgebiet. Das Projekt heisst «helping to cope», verkürzt «hope» und hat die Prävention von schweren und langwierigen Trauma-Folgestörungen zum Ziel.

Kurz nach der russischen Invasion baten ukrainische Psychologen die Psychologische Hochschule in Berlin um fachliche Unterstützung. Diese Anfrage ging an die Fachgruppe Notfallpsychologie des Berufsverbands deutscher Psychologinnen und Psychologen. Damaris Braun und Lena Deller-Wessels stellten daraufhin innert kurzer Zeit zusammen mit der AETAS-Kinderstiftung und der Medical School Hamburg ein Pilotprojekt mit notfallpsychologischen und therapeutischen Aspekten für die Ukraine auf die Beine.

Neben psychotraumatologischen Grundlagen wurde grosses Gewicht auf die praktische Umsetzung wie Stressbewältigungstechniken und Fallbearbeitungen gelegt. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die meisten notfallpsychologischen Konzepte nicht auf eine Kriegssituation ausgelegt sind. «Die Frage war, wie können wir die vorliegenden Konzepte bestmöglich auf die ukrainischen Bedürfnisse anpassen?», erklärt Damaris Braun. Dafür waren Erfahrung in der Arbeit mit Kindern in Krisenregionen, aber auch Expertise in kindgerechter Sprache nötig. Allen Beteiligten war ein respektvoller Umgang wichtig.

Die Ukraine hat eine gute schulpsychologische Versorgung – jede Schule verfügt über eine Fachperson. Die Psychologinnen und Psychologen betreuen auch Lehrkräfte. Mit acht Millionen Binnenflüchtlingen und der schon länger schwelenden Kriegssituation sind die Lehrkräfte und psychologischen Dienste sehr belastet. Fragen wie «Wie gestaltet man einen Unterricht, wenn die Klasse in einen Bunker muss?» oder «Wie geht man bei einem Bombenalarm mit Angstzuständen der Schulkinder um?», stehen im Vordergrund.

Bereits im Juni 2022 startete ein Pilotdurchgang mit 35 Teilnehmenden, eine zweite Schulung konnte im Herbst 2022 beginnen. Die Nachfrage war gross. Die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen haben Damaris Braun beeindruckt – «insbesondere der Lernwille und die Offenheit, sich neben dem schwierigen und belastenden Alltag für diese Weiterbildung zu engagieren.» Dieses Projekt wäre ohne ehrenamtliches Engagement nicht möglich gewesen. Die mehrstündigen notfallpsychologischen Online-Trainings und -Supervisionen sind für beide Seiten anstrengend und werden durch eine Dolmetscherin ins Ukrainische übersetzt.

Üblicherweise wird die Notfallpsychologie dann eingesetzt, wenn die körperliche Sicherheit gewährleistet ist. Das ist in einem Kriegsgebiet nicht möglich. «Wir wissen aus anderen Krisenregionen, dass Mütter unter solchen Bedingungen nicht mehr mit ihren Kindern spielen und sich die Eltern-Kind-Interaktion verändert», sagt Damaris Braun. Wie Kindern und Jugendlichen Bindung und Stabilität vermittelt werden können, ist daher zentral. Die Schule übernimmt eine wichtige Rolle. Das beginnt mit der Vermittlung der Information, welche Reaktionen normal sind in einer aussergewöhnlichen Situation, und welche Prinzipien von den Lehrkräften angewendet werden können, um Sicherheit zu vermitteln.

Damaris Braun berührt insbesondere die Dankbarkeit der Teilnehmenden. Das Projekt wirke durch den Austausch und die Anerkennung der Situation ressourcenverstärkend allein dadurch, dass es bestehe, stellt Damaris Braun fest. Über die Aus- und Weiterbildung hinaus will das Projekt so viele Lehrkräfte wie möglich erreichen. An einer Konferenz in der letzten Märzwoche schalteten sich über 300 Fachpersonen aus der Ukraine zu.

Noch ist die Fortführung, bisher von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Psychologischen Hochschule Berlin sowie der AETAS-Kinderstiftung unterstützt, nicht gesichert. Alle Beteiligten hoffen, dass die Finanzierung für die nächste Aus- und Weiterbildung, die im Herbst 2023 starten soll, erreicht werden kann, denn «der Bedarf ist sehr gross», sagt Damaris Braun.

Weitere Informationen zum Projekt und den Verantwortlichen in der Ukraine und in Deutschland finden Sie hier.

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