«Ich bin ein Mensch der Front»

Anna-Maria Schärer leistet neben ihrer Arbeit als medizinische Praxisangestellte, selbstständige Beraterin und Fachleiterin eines Careteams regelmässig Auslandeinsätze für humanitäre Hilfe. Ein Gespräch über grenzübergreifende Carearbeit, kulturelle Barrieren und den Umgang mit Leid.

Seit 2016 arbeiten Sie als Freiwillige beim Schweizer Verein Borderfree Association, der sich vor allem für Flüchtende einsetzt. Wie kam es dazu?
Im Jahr 2001, als ein Tsunami Südostasien traf, wollte ich mit einer Hilfsorganisation nach Indonesien fliegen. Nach Rücksprache mit einer Psychiaterin, die beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz tätig war, entschied ich mich aber dagegen. Meine Kinder waren damals noch klein – es war noch nicht der richtige Zeitpunkt. Richtig los ging es 2016 mit den grossen Fluchtbewegungen aus Syrien und anderen Ländern in Richtung Europa.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Verein?
Die Bilder der Flüchtlingsströme waren für mich fast nicht mehr aushaltbar und ich fühlte mich hilflos. Ich bin ein Mensch der Front. Ich bin gerne bei den Menschen und arbeite gerne mit ihnen zusammen. Ich sagte meinem Mann: Wenn ich eine Organisation finde, dann bin ich weg. Ich informierte auch meine Arbeitgeber. Dann ging es rasch: Im November 2015 fand ich den Verein Borderfree Association, der Leute für einen Einsatz im Flüchtlingscamp Presevo im äussersten Süden Serbiens suchte. Im Dezember sassen wir erstmals zusammen und im Januar 2016 war ich bereits dort.

Wie war dieser allererste Einsatz?
Als ich in das riesige Camp kam, roch es nach verbranntem Plastik und überall war Rauch. Der Anblick dieser Menschen war hart. Serbien war für sie eine Zwischenstation auf dem Weg nach Westeuropa. Ich erinnere mich an eine Szene am ersten Abend. Man gab mir eine Leuchtweste und ein Walkie-Talkie und wir gingen zu verlassenen Bahnschienen. Wir mussten vor den Gleisen stehen, wo Güterzüge einfuhren, und eine Menschenkette bilden, damit die Flüchtenden nicht den Zug stürmten. Alle wollten weg, auch Eltern mit ihren Kindern. Es brach Panik aus. Ich stand dort und mir sind die Tränen nur so herabgeflossen.

Was war Ihre Aufgabe im Camp?
Mein Auftrag war die Koordination des Flüchtlingscamps. Es waren bereits Freiwillige vor Ort, aber sie waren überlastet und nonstop krank. Ich stellte als Erstes einen Arbeitsplan auf mit Schichten, damit die Helfenden schlafen und sich erholen konnten. Ärzte ohne Grenzen stellte für uns die Zelte auf und wir sorgten dafür, dass sie warm sind. Wir haben gekocht, Essen verteilt und erste medizinische Hilfe geleistet. Wir führten Gespräche mit den Geflüchteten und haben versucht, etwas Normalität in die Zelte zu bringen. Ich war zudem für die Rekrutierung der Volunteers zuständig und leistete Carearbeit für das Team.

Was unterscheidet Ihre Arbeit als medizinische Praxisangestellte und Beraterin in der Schweiz von derjenigen in einem Krisengebiet?
Man arbeitet mit Menschen, die alles verloren und keine Perspektiven mehr haben. Ein grosser Unterschied ist auch die Infrastruktur. Hier funktioniert alles wunderbar und dort hat man wenig bis nichts. Man muss ad hoc organisieren und improvisieren können. Man darf selbst keine Ansprüche haben, auch nicht bezüglich Übernachten oder Essen. Von der Teamarbeit her ist man in einem Krisengebiet noch stärker aufeinander angewiesen. Wenn es Streit gibt oder Meinungsverschiedenheiten, dann muss man dies sofort klären. Diese Arbeit Hand in Hand schätze ich sehr – die Zusammenarbeit und das Engagement jeder und jedes einzelnen.

Wie bereitet man sich auf die Einsätze vor?
Vorbereiten kann man sich vor allem von der Ausrüstung her, ansonsten müssen wir offen und äusserst flexibel sein. Der Einsatz in der Türkei nach dem Erbeben war zum Beispiel eine wahre Ad-hoc-Übung. Nur eine Woche zuvor hatte ich an einer Stabsübung zum Thema Naturkatastrophen teilgenommen. Kaum war ich zuhause, machte ich mich auf den Weg in die Türkei. Du kommst in ein Land, das sich im Chaos befindet. Es funktionierte nichts mehr – es gab keinen Strom, keine Infrastruktur, kein Handynetz. Wir gingen an die türkisch-syrische Grenze, wo die Hilfe noch nicht angekommen war.

Was macht man in so einer Situation?
Die ersten Tage waren alle Geschäfte geschlossen, also hatten wir keinen Zugang zu gar nichts. Wir nutzten die Zeit für ein Brainstorming, um uns zu organisieren und zu schauen, was Priorität hat. Es gab viele Nachbeben. Wir waren in einem Land, wo auch für uns alles unsicher war.

Wie erleben Sie bei den Einsätzen die kulturellen Barrieren?
Man muss sich vorab über die Kultur und die Lebensweise der Menschen informieren. Ich war vor allem in arabischen Ländern im Einsatz. Trägershirts gehen da zum Beispiel gar nicht und man reicht sich nicht die Hände. Vor allem bei schwierigen Themen ist es besser, wenn Männer mit den Männern sprechen. Die Frauen hingegen sind sehr offen und schätzen auch Körperkontakt. Es ist wichtig, dass man sich der kulturellen Unterschiede bewusst ist und sich fragt, ob man dies möchte und kann. Ich fühle mich sehr wohl in der arabischen Kultur.

Wie haben die Einsätze Ihre Arbeit hier in der Schweiz geprägt oder verändert? Oder sind das für Sie zwei komplett getrennte Welten?
Der erste Einsatz in Serbien hat mein Weltbild nochmals verändert. Ich hatte danach grosse Mühe, wieder in meinen Arbeitsalltag in der Arztpraxis zu finden. Die Dimensionen waren völlig anders und die vielen Vorurteile gegenüber diesen Menschen machten mir sehr zu schaffen. Gleichzeitig spürte ich tiefe Dankbarkeit für das, was ich hier habe. Ich bin in Sicherheit, ich habe alles. Ich musste lernen, diese Welten zu trennen. Nur so konnte ich weiterhin meinen Job gut machen. Es gibt auch hier in der Schweiz Leid, das dürfen wir nicht werten.

Wie haben Sie wieder Tritt fassen können?
Das war ein persönlicher Prozess. Die Integration der beiden Welten gelingt mir manchmal besser, manchmal weniger. Aber es ist wichtig, dass ich mich immer wieder mit dem Thema aktiv auseinandersetze und reflektiere. Wo stehe ich? Was fühle ich jetzt, und wieso fühle ich das jetzt gerade? Inzwischen gelingt mir das sehr gut.

Anna-Maria Schärer
Anna-Maria Schärer arbeitet Teilzeit als medizinische Praxisassistentin in einer Gruppenpraxis und hat seit fünf Jahren eine eigene Praxis für psychosoziale Beratungen und Traumaberatung. Neben ihrer Tätigkeit als Fachleiterin im Careteam des Kantons Zug leistet sie seit 2016 regelmässig Freiwilligeneinsätze für den spendenfinanzierten Verein Borderfree Association.
https://beratungspraxis-schaerer.ch/
https://border-free.ch/

Interkulturelle Aspekte im Kontakt mit Betroffenen

 Im medizinischen und therapeutischen Alltag sowie in Krisensituationen betreuen wir Menschen mit unterschiedlichem sprachlichen, soziokulturellen sowie spirituell-religiösen Hintergrund. Dies ist oft bereichernd, manchmal herausfordernd, gelegentlich kann es auch zu Missverständnissen und Konflikten führen. Dr. med. Birgit Traichel beleuchtet das Thema aus Sicht der Palliativmedizin.

Die Herausforderungen bei der Betreuung von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund können sich in unterschiedlichen Bereichen zeigen:

  • Sprache
  • Bedeutungen, Codes und Tabus
  • Kommunikationsstil: linear-direkt («Low-Context») vs. zirkulär («High-Context»)
  • Sozial akzeptiertes Nähe-Distanz-Verhalten (physisch, visuell, emotional)
  • Spannungsfeld zwischen Hierarchie und Vertrauen
  • Verhältnis Individuum versus Gemeinschaft
  • Beziehung zwischen Mann und Frau
  • Strategien der Konfliktbewältigung
  • Umgang mit und Kommunikation über Sterben und Tod

Wichtig ist bei diesem Thema in jedem Fall ein hohes Mass an Sorgfalt und Differenzierung, um nicht – häufig auch unbewusst vorhandene – kulturelle Vorbehalte und Stereotype zu replizieren. Menschen, auch wir Caregivers – neigen in einer zunehmend komplexen Welt zu zunächst pragmatisch scheinenden Kategorisierungen und Vereinfachungen, die dem individuellen Gegenüber aber nur selten gerecht werden.
Auch können Menschen aus demselben Herkunftsland einen sehr unterschiedlichen biographischen, bildungs- und sozioökonomischen Hintergrund haben, den wir mit „einfachen“ kulturellen Konzepten nicht erfassen. Und nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass Konflikte zwischen Betroffenen und Behandelnden trotz zahlreicher anderer Faktoren vorwiegend als kulturell (fehl)interpretiert werden.

Trotz all dieser Einschränkungen ist ein möglichst breites Wissen um kulturelle Eigenheiten und Konstanten – neben Neugier und Offenheit in der Interaktion mit Menschen aus anderen Kulturen – ausgesprochen hilfreich. Im Folgenden gehe ich daher auf einige ausgewählte Aspekte der Interkulturalität ein.

Sprache
In vielen Situationen steht – zumindest auf den ersten Blick – zunächst vor allem die Sprachbarriere im Vordergrund. Ein ungenügendes Sprachverständnis zwischen Betroffenen und Caregivers kann nachweislich die Zufriedenheit mit der Betreuung verschlechtern. Im medizinischen Kontext hat es zum Teil einen massiven Einfluss auf den Outcome zahlreicher Behandlungen. Eine Übersetzungstätigkeit durch Angehörige, die zumeist der jüngeren Generation angehören, wird im Alltag aus pragmatischen Gründen häufig praktiziert, kann jedoch mit zahlreichen Fallstricken verbunden sein. So neigen Angehörige in ihrem Wunsch nach Schonung der Betroffenen dazu, vor allem schlechte Nachrichten abgeschwächt oder auch gar nicht zu übersetzen. Betroffene wiederum können aus Scham gegenüber ihren Zugehörigen relevante Themen verschweigen oder beschönigen.
Es wird generell empfohlen, zumindest punktuell in gewissen Schlüsselmomenten, wie zum Beispiel bei der Diagnoseeröffnung einer schwerwiegenden Erkrankung oder bei komplexer Entscheidungsfindung, professionelle Übersetzende beizuziehen, die idealerweise eine Zusatzqualifikation im Bereich des interkulturellen Dolmetschens haben.

Kommunikationsstile – Codes – Tabus
Zusätzlich zur Sprachbarriere können auch unterschiedliche Kommunikationsstile und Bedeutungsinhalte das therapeutische Verhältnis komplizieren. Die Kulturanthropologie stellt das Konzept einer explizit-sachbezogenen und zielgerichteten, vorwiegend westlichen Low-Context-Kommunikation einer indirekt-kontextuellen High-Context-Gesprächskultur gegenüber, wobei letztere vor allem in traditionelleren Kulturen gepflegt wird. Bei letzterer wird zunächst ein sozialer und emotionaler Kontext zwischen den Sprechenden aufgebaut. Erst im Rahmen dieses Beziehungsgeflechts können dann Inhalte «kontextuell-indirekt» vermittelt werden.
Obschon mit der Globalisierung eine Angleichung stattgefunden hat, ist dieser High-Context-Kommunikationsstil vor allem in Ländern Ostasiens, im Mittleren Osten sowie in Subsahara-Afrika weit verbreitet, und das Wissen darum kann die Informationsvermittlung sehr erleichtern.
So ist beispielsweise das direkte Ansprechen von Themen wie Sterben und Tod in vielen High-Context-Kulturen unüblich, weil es tabuisiert ist oder als offensiv-verletzend wahrgenommen wird.
Dennoch ist es über einen indirekten («kontextuellen») Weg – idealerweise im Rahmen einer als wertschätzend erlebten therapeutischen Beziehung – oft gut möglich, den entsprechenden Sachverhalt in einer für die Betroffenen akzeptablen Form zu vermitteln. Dies erfordert unserseits die Bereitschaft, mit Halbausgesprochenem und Angedeutetem umgehen zu können. Sehr hilfreich können hierbei, wie bereits oben erwähnt, kultursensible Übersetzende sein, welche die entsprechenden «Codes» beherrschen.

Individuum und Gemeinschaft
Das Gegensatzpaar Individualismus versus Kollektivismus wird in der Sozialpsychologie als eine der Dimensionen des kulturspezifischen Ländervergleichs aufgeführt. Hierbei werden als Länder mit einer besonders hohen Ausprägung an Gemeinschaftsdenken nebst mehreren Ländern Lateinamerikas insbesondere China und der Mittlere Osten aufgeführt.
In unserer westlichen Kultur steht seit mehreren Jahrzehnten das Idealbild des autonom entscheidenden Individuums im Vordergrund, das nach Erhalt aller Informationen und reiflicher Erwägung seine Entscheidungen zu entsprechenden Behandlungen selbstbestimmt trifft. Dies ist in vielerlei Hinsicht ein grosser gesellschaftlicher und medizinethischer Fortschritt, allerdings sind auch bei uns nicht wenige Menschen mit diesem Anspruch überfordert.
In vielen traditionell geprägten Kulturen kann eine schwere Erkrankung bzw. Beeinträchtigung eines Angehörigen einen deutlichen Rollenwechsel nach sich ziehen. Der bzw. die Betroffene wird durch die Zugehörigen entlastet und von Verantwortlichkeiten und Entscheidungen freigestellt, gleichzeitig hiermit jedoch auch «entmündigt». Dies kann für manche Menschen erleichternd und tröstlich sein, von anderen jedoch auch als bevormundend empfunden werden.

Strategien für die Betreuungsarbeit
Wie sollen wir als Betreuende mit solchen Situationen umgehen?
Häufig ist es bereits hilfreich, die unterschiedlichen kulturellen Konzepte hinter diesen Konflikten zu erkennen – und es ist spannend, in diesem Rahmen uns auch unserer eigenen Vorstellungen, Prägungen und Konzepte bewusst zu werden und diese gegebenenfalls kritisch zu hinterfragen.
Entsprechende Informationen über die Vorstellungen und Kommunikationsstile ethnischer und religiöser Gruppen und die Unterstützung durch «kultursensible» Übersetzende können zum Verständnis hilfreich sein. Am wichtigsten für eine gelingende Verständigung erscheint immer noch die eigene Haltung: eine Haltung der Offenheit, Zugewandtheit und des Interesses am Anderen sowie die Bereitschaft, sich auch auf gedanklich ungewohntes Terrain zu begeben.
Auch sollten wir – bei aller Kultursensibilität – kulturelle Unterschiede nicht überbewerten. Die zentralen Gemeinsamkeiten sind generell viel grösser als die Unterschiede. In praktisch allen Kulturen dieser Welt sind die gleichen Werte zentral – Menschen möchten geliebt werden. Gutes tun hat einen hohen Stellenwert. Die Familie ist fast allen Menschen sehr wichtig, ebenso eine Form von Glauben oder Spiritualität. Die meisten Menschen mögen Humor – und als verbindendste Form der Interkulturalität kann uns in manchen Situationen am besten ein gemeinsames herzhaftes Lachen weiterhelfen.

Dr. med. Birgit Traichel ist Leitende Ärztin Palliative Care am Kantonsspital Münsterlingen.

 

 

 

 

 

 

Betroffene begleiten: Hilfestellungen für Vorgesetzte

Das Aussergewöhnliche kann jederzeit eintreten. Statistisch gesehen trifft es fast uns alle einmal im Leben. Für die erfolgreiche Verarbeitung möglicherweise traumatischer Ereignisse ist es entscheidend, als betroffene Person gesehen zu werden und Anerkennung sowie Unterstützung zu erhalten.

Als Vorgesetzte stehen Sie bei einem Ereignis im Unternehmen vor einer besonderen Herausforderung, denn Sie haben eine Doppelrolle inne. Auf der einen Seite geben Sie als Führungsperson die Richtung vor und übernehmen Verantwortung. Auf der anderen Seite können Sie selbst direkt oder indirekt betroffen sein.

Hilfreiche Grundsätze für die Begleitung
Die persönliche Haltung gegenüber betroffenen Mitarbeitenden kann massgeblich zur erfolgreichen Verarbeitung des Erlebten beitragen. Die folgenden Grundhaltungen unterstützen Betroffene und bieten auch Ihnen selbst Schutz:

  • In den ersten Tagen und Wochen ist jede Reaktion normal. Die Situation ist aussergewöhnlich oder “abnormal” – nicht die Reaktion.
  • Ich bin offen für das, was meinem Gegenüber guttut, und frage aktiv nach. Meine eigenen Strategien helfen nicht automatisch auch anderen.
  • Ich traue meinem Gegenüber zu, die Situation bewältigen zu können.
  • Empathisches Zuhören, erzählen lassen und Normalität herstellen ist hilfreich.
  • Ich biete aktiv Unterstützung beim weiteren Vorgehen an.

Jeder Mensch hat andere Voraussetzungen
Ein belastendes Ereignis trifft auf eine Person mit individuellen Voraussetzungen. In der Notfallpsychologie wird davon ausgegangen, dass Menschen in der Regel ein für sie bedrohliches Ereignis gut bewältigen können und im besten Fall sogar widerstandsfähiger daraus hervorgehen. Manche Menschen brauchen dafür nur wenige Tage, andere einige Wochen oder Monate. Zum einen ist die Verarbeitung abhängig von der Art, der Dauer und dem Ausmass des Ereignisses. Zum anderen bestimmen Risikofaktoren und Schutzfaktoren der Betroffenen den weiteren Weg.

Individuelle Risikofaktoren, welche die Verarbeitung erschweren:

  • frühere traumatische Erfahrungen
  • Vorerfahrungen mit Gewalt und Übergriffen
  • psychische oder schwere körperliche Erkrankungen in der Vorgeschichte
  • emotionale Instabilität im Umfeld
  • soziale Isolation
  • Krieg, Flucht

Wir wissen heute, dass das Fehlen sozialer Unterstützung die psychische Widerstandskraft besonders stark beeinträchtigt.

Schutzfaktoren, welche die Rückkehr zur Normalität fördern:

  • ein stabiles soziales Netz
  • Offenheit für den Bewältigungsprozess
  • eine akzeptierende und zukunftsorientierte gedankliche Bewertung des Ereignisses
  • das Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben
  • die Überzeugung, selbstwirksam zu sein
  • gesellschaftliche Anerkennung des Erlebten

 

Take Home – das Wichtigste in Kürze

  • Als Vorgesetzte sollten Sie Ihre eigene Haltung im Vorfeld entwickeln und im Ereignisfall auch Ihre persönliche Betroffenheit wahrnehmen, anerkennen und ihr zu gegebener Zeit Raum geben.
  • Die Verarbeitung hängt ab von in der Vergangenheit Erlebtem, der Art und dem Ausmass des Ereignisses und dem weiteren Verlauf (persönliche Resilienz und soziale Unterstützung).
  • Zusätzlich unterstützt wird die Verarbeitung durch gute Information, Orientierung, und möglichst wenig zusätzliche Angst oder Hilflosigkeit.

«Das Glück steckt in unseren Köpfen» – Riham Mahfouz begleitet Menschen aus der Ferne

Die moderne Technik macht es möglich: Riham Mahfouz begleitet Menschen, die zum Teil mehrere tausend Kilometer von ihr entfernt leben. Im Gespräch erzählt sie von den Chancen und Grenzen der Fernberatung und wie es ihr gelingt, trotz täglicher Konfrontation mit fremdem Leid optimistisch zu bleiben.

Frau Mahfouz, Sie begleiten aus der Distanz Menschen in Not. Wie kam es dazu?
Ich bin Ärztin, Psychiaterin und Psychotherapeutin und stamme aus Ägypten. Dort hatte ich eine eigene Praxis für Psychotherapie. Vor 13 Jahren kam ich mit meiner Familie in die Schweiz. Seither begleite ich meine Klientinnen und Klienten primär aus der Ferne, insbesondere über die Online-Plattform Shezlong. Zusätzlich wirke ich an Projekten verschiedener Organisationen mit, zum Beispiel zur Unterstützung von Fachleuten, die in Krisengebieten Carearbeit leisten.

Wo befinden sich Ihre Klientinnen und Klienten?
Sie leben vor allem im Nahen Osten – zum Beispiel in Ägypten, in den Arabischen Emiraten, im Libanon oder in Gaza – oder sind wie ich nach Europa emigriert. Die meisten haben deshalb eine ähnliche Kultur und einen ähnlichen Hintergrund wie ich, was hilfreich ist.

Mit welchen Themen und Situationen sind Ihre Klientinnen und Klienten konfrontiert?
Mein Schwerpunkt liegt in der Arbeit mit Menschen, die unter Ängsten, Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Viele meiner Klientinnen und Klienten im Nahen Osten leben in einer akuten Krisensituation oder erleben die aktuellen Konflikte aus der Nähe mit. Das Projekt «Help the Helpers» richtet sich zum Beispiel an Ärzte- und Pflegepersonal sowie Sozialarbeitende in Gaza. Meine Klientinnen und Klienten, die in Europa leben, sind zum grössten Teil Geflüchtete aus dem Nahen Osten. Sie leiden unter den erlittenen Traumata. Auch Konflikte zum Beispiel zwischen Eheleuten oder zwischen der ersten und zweiten Generation sind ein Thema. Die Flucht schweisst die Familien zusammen, aber, einmal in Sicherheit, sind sie in der neuen Umgebung zusätzlich mit den Herausforderungen der Anpassung an die neue Lebenssituation konfrontiert. Da treten oft Konflikte zutage.

Wie läuft eine Betreuung auf Distanz konkret ab?
Meistens treffen wir uns online mit einem Video-Call. Einige schalten aber die Kamera aus, um ihre Identität zu schützen – sei es aus religiösen oder kulturellen Gründen oder für ihre eigene Sicherheit. Das ist nicht ideal, aber ich möchte ihnen einen sicheren Raum bieten, damit sie ihre Gefühle ausdrücken können. Meine Kamera ist jedoch immer eingeschaltet. Es ist wichtig, dass sie mich sehen können, damit eine Vertrauensbasis entstehen kann. Und viele Klientinnen und Klienten fühlen sich nach ein paar Treffen sicher genug, um sich ebenfalls zu zeigen.

Wie viel ist mit einem Audio-Call noch möglich?
Ich erinnere mich an die Begleitung einer Frau im Jemen. Sie lebte in einem abgelegenen Dorf, hatte vier Kinder und ihr Mann war im Krieg umgekommen. Wir konnten nur etwa einmal pro Monat telefonieren. Die Situation war ernst: Sie war depressiv und litt unter Zwangsstörungen und Panikattacken. Ich war sehr skeptisch, ob ich ihr unter den gegebenen Umständen helfen könnte. Doch es hat tatsächlich funktioniert. Wir machten viele einfache, aber effektive Übungen zum Angstmanagement oder zur Emotionsregulation, zudem nutzte ich Ansätze aus der psychodynamischen Therapie und der kognitiven Verhaltenstherapie. Dies war für mich eine lebensverändernde Erfahrung: Auch mit einfachsten Mitteln kann ich etwas für Menschen in Not tun.

Was geschieht, wenn Sie aus der Distanz nicht mehr weiterhelfen können?
Manchmal braucht es mehr als nur Online-Treffen. Menschen, die schwer belastet sind, können eine Psychose entwickeln und deshalb nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Sie sagen dann: «Ich möchte Sie anfassen, um sicher zu sein, dass es Sie wirklich gibt.» In solchen Fällen spreche ich mit dem Projektteam vor Ort, damit ein persönliches Treffen stattfinden kann. Ich reise auch zweimal jährlich nach Ägypten und kann dort persönliche Gespräche anbieten.

Sie haben mit Menschen in Krisengebieten zu tun, die akut gefährdet sind. Wie gehen Sie mit dieser Unsicherheit um?
Ich verfüge über verschiedene Techniken zur Selbstregulation. Ausserdem bin ich geleitet durch Zuversicht und gehe grundsätzlich immer vom Guten aus. Einmal konnte ich zum Beispiel eine Klientin aus Gaza einen Monat lang nicht mehr erreichen. Ich schickte ihr jeden Tag eine Nachricht. Dann meldete sie sich auf einmal wieder. Sie hatte fliehen müssen und hatte keine Möglichkeit, sich zu melden, aber es ging ihr gut. In der Psychotherapie ist es sehr wichtig, eine positive Grundhaltung zu haben – auch weil dies ein Modell für die Klientinnen und Klienten ist, woran sie sich orientieren können.

Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Zum einen die Beziehung zu meinen Klientinnen und Klienten. Dies setzt Vertrauen, Empathie und Respekt voraus. Zum anderen achte ich stark auf Details. In der Traumatherapie ist es wichtig, die Klientinnen und Klienten frei erzählen zu lassen, denn manchmal kommt die wichtigste Information ganz zum Schluss. Aus Details lerne ich, wie sie denken und fühlen und kann Muster erkennen. Jede Erinnerung legt zudem wieder eine Schicht frei, die verschüttet war. All das ist für den Heilungsprozess sehr wichtig.

Warum haben Sie sich für diese herausfordernde Tätigkeit entschieden?
Ich liebe den Austausch mit Menschen und lerne viel von meinen Klientinnen und Klienten. Ich bin überzeugt, dass eine gesunde Psyche letztlich wichtiger ist für die Lebensqualität als ein gesunder Körper. Ich kann physisch eingeschränkt sein und mit einer gesunden psychischen Verfassung trotzdem ein gutes Leben führen. Das Glück steckt in unseren Köpfen.


Riham Mahfouz (MD) ist Ärztin, Psychiaterin und Psychotherapeutin und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Basel. Sie hat in Ägypten und Grossbritannien Medizin studiert und an der Universität Basel den MAS Peace & Conflict absolviert. Neben ihrer aktuellen Tätigkeit als Psychiaterin und Psychotherapeutin ist sie Mitgründerin der NPO Innovate4Right und muslimische Seelsorgerin in Basel.


 

Ein Zuhause auf Zeit – Interview mit Lucas Maissen, Leiter des Schlupfhuus

Ein kleiner Gummikaktus in seinem Notfallset erinnert Lucas Maissen immer wieder daran, dass die Jugendlichen in seiner Obhut Stacheln ausbilden mussten, um im Leben zurechtzukommen. Im Interview erzählt der Leiter des Zürcher Schlupfhuus über die traumapädagogische Arbeit, das Ankommen und das Weitergehen.

Das Schlupfhuus bietet Jugendlichen, die sich in einer Krisensituation befinden, Unterstützung und einen sicheren Ort. Was sind die häufigsten Gründe, dass sie bei Ihnen Hilfe suchen?
Sie alle befinden sich in einer belastenden Situation, in der sie nicht mehr weiterwissen. Die meisten haben mehrere Formen von Gewalt erlebt – psychische, physische oder sexuelle. Typisch ist auch eine konfliktreiche Beziehung zwischen Eltern und Kindern, zum Beispiel wegen sehr starker Kontrolle oder unterschiedlichen Lebensentwürfen. Viele Eltern sind selbst psychisch belastet oder krank. Auch Suchtthematiken, prekäre finanzielle Verhältnisse und unklare Migrationskontexte spielen eine Rolle. Meistens führen mehrere Faktoren dazu, dass die Jugendlichen im Schlupfhuus Schutz suchen.

Man hört immer wieder, es mangle an Unterstützungsangeboten für Jugendliche in einer Krise. Wie geht es dem Schlupfhuus diesbezüglich?
Das Problem hat sich in der Tat verschärft. Wir haben pro Jahr etwa 150 bis 180 Jugendliche, die einen Platz bräuchten, aber keinen finden. Die jungen Menschen sind einerseits unabhängiger und besser informiert, zum Beispiel dank der Schulsozialarbeit. Zugleich hat sich ihre psychische Verfassung verschlechtert. Unsere aktuelle Situation einer Multikrise macht etwas mit ihnen, und auch der Schuldruck nimmt zu. Gerne würden wir mehr Plätze anbieten. Wir suchen bereits seit fünf Jahren ein geeignetes Haus in Zürich für eine zweite Wohngruppe. Jetzt endlich könnte es klappen.

Was passiert als Erstes, wenn sich ein Jugendlicher per Whatsapp oder Mail meldet oder eine Jugendliche bei Ihnen vor der Tür steht?
Beim ersten Kontakt versuchen wir herauszufinden, was die jungen Menschen erleben und wie gross ihre Not ist. Warum wollen sie nicht mehr in der Familie sein – an dem Ort, der ihnen eigentlich Schutz bieten sollte? Dann geht es um die Frage, ob ein Weggehen von daheim wirklich sinnvoll ist oder ob eine ambulante Beratung genügt. Gerade heute Morgen waren vier Jugendliche hier. Es ist ein schwieriges Abwägen: Wer braucht den Platz am dringendsten? Wer kann mit Unterstützung noch im Umfeld bleiben?

Informieren Sie die Eltern?
Ja, das müssen wir. Wenn Angst vor Gewalt besteht, können wir aber in Absprache mit der Polizei einen Geheimstatus vereinbaren. Dann wissen die Eltern nur, dass sie sich in einer sozialen Einrichtung befinden.

Wie viele kehren später wieder heim?
Etwa die Hälfte kehrt wieder zur Familie zurück, teilweise mit Begleitmassnahmen wie einem Jugendcoach oder einer sozialpädagogischen Familienbegleitung. Wir bieten neu auch ein ambulantes Krisencoaching an für die Übergangszeit, bis eine Lösung greift.

Sie unterscheiden im Schlupfhuus die drei Phasen Ankommen, Weiterkommen und Weitergehen.
Wir sagen bewusst Ankommen und Weitergehen statt wie in Heimen üblich Ein- und Austritt. Anfangs besteht meistens grosses Misstrauen und ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle, und viele leiden unter somatischen Störungen wie Übelkeit oder Kopfschmerzen. Das erste Ziel ist es, ein emotionales Ankommen in der neuen Situation und in den neuen Beziehungen zu ermöglichen und die Jugendlichen psychosozial zu stabilisieren. In der Phase des Weiterkommens geht es um das bessere Verständnis der eigenen Situation, aber auch darum, was solche Erlebnisse mit Menschen macht. Gemeinsam versuchen wir, maladaptive Bewältigungsstrategien in adaptive umzuwandeln. Die Frage, wie es weitergehen könnte, steht ebenfalls im Raum. Die dritte Phase beginnt dann, wenn sie wissen, wo es als nächstes hingeht. Der Rückblick auf die Ankommensphase hilft ihnen zu erkennen, was für den neuen Übergang hilfreich sein könnte.

Sie arbeiten mit traumapädagogischen Ansätzen und Methoden. Worum geht es dabei?
Menschen, die eine chronische Traumatisierung erlebt haben, zeigen im Alltag viele Verhaltensweisen, die sie zwar als Bewältigungsverhalten entwickeln mussten, längerfristig aber nicht hilfreich sind. Häusliche Gewalt ist geprägt von Unberechenbarkeit, Geringschätzung,  Handlungsunfähigkeit und Hoffnungslosigkeit. Dem setzen wir Transparenz, Partizipation und Wertschätzung entgegen. So erleben sie ein komplementäres soziales Umfeld. Emotionsregulation und der Umgang mit Stress sind dabei wichtige Themen. Es geht also nicht um die Aufarbeitung ihrer Geschichte, sondern darum, deren Wirkung im Hier und Jetzt zu verstehen, sie gemeinsam auszuhalten und neue Strategien im Umgang damit zu finden. Traumapädagogik setzt insofern am Umfeld an – die Psychologie an der Persönlichkeit.

Sind alle Jugendlichen, die zu Ihnen kommen, traumatisiert?
Einige kommen in einer akuten Traumaphase zu uns und haben noch keine Traumafolgen entwickelt. Viele jedoch sind traumatisiert, und gut 40 Prozent erfüllen die Kriterien für eine komplexe Traumafolgestörung. Im Vergleich mit anderen Jugendheimen und Beobachtungsstationen leiden unsere Jugendlichen hochsignifikant häufiger an somatischen Beschwerden, Suizidgedanken und ängstlich-depressiven Symptomen.

Ihr Team ist konstant mit schwierigen Themen und Krisen konfrontiert. Was brauchen die Mitarbeitenden, um nicht auszubrennen?
Die Geschichten der Jugendlichen sind heftig. Dazu kommt ein grosser Druck von den Elternhäusern, und die jungen Menschen zeigen die herausfordernden Verhaltensweisen ja weiter. Der Alltag ist unvorhersehbar und geprägt von heftigen Emotionen, persönlichen Krisen und immer wieder auch Eskalationen. Damit das Gefühl von Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit nicht auf das Team überschwappt, braucht es ein gute emotionale Versorgung der Mitarbeitenden. In regelmässigen Fachgesprächen reflektieren sie mit der Leitung ihr emotionales Erleben in Bezug auf die Arbeit. Auch auf Teamebene wird dies reflektiert. Dazu kommen Weiterbildungen, Haltungsarbeit und regelmässige Interaktionsanalysen mit unserer Psychotherapeutin. Genauso wichtig ist es, viele freudige, leichte Momente mit den jungen Menschen und im Team zu erleben. Emotional anstrengend bleibt die Arbeit dennoch.

Sie sind auch als Notfallpsychologe für Carelink tätig. Was hat Sie dazu bewogen?
Wir haben es mit Menschen zu tun, die im akuten Geschehen bei uns ankommen, und traumapädagogische Überlegungen decken nicht alles ab. Deshalb habe ich mich zum Notfallpsychologen FSP weitergebildet. Dort bin ich mit Mitarbeitenden von Carelink ins Gespräch gekommen. Ich freue mich, dass ich auf diesem Weg Wissen aus meinem Alltag weitergeben kann.

Eine letzte Frage: Was wünschen Sie den Jugendlichen unserer Zeit?
Vieles. Am meisten würde ich mir wünschen, dass sie in dieser  Gesellschaft und auf dieser Welt einen Ort finden, wo sie ihre Stärken und Qualitäten ausspielen können. Da braucht es eine Gesellschaft – Menschen, ein Schulsystem, Eltern – die ihnen den nötigen Raum geben. Und es braucht junge Menschen, die neugierig und offen auf diese Welt zugehen.


Lucas Maissen ist seit 2013 Leiter des Schlupfhuus in Zürich. Die Institution nimmt pro Jahr etwa 70 bis 90 Jugendliche stationär auf; dazu kommen rund 400 ambulante Kontakte pro Jahr. Lucas Maissen hat klinische Heil- und Sozialpädagogik sowie Psychologie studiert. Im Schlupfhuus kann er die beiden Professionen optimal vereinen. Daneben ist er Lehrbeauftragter an verschiedenen Fachhochschulen und Universitäten und Präsident des Schweizer Fachverbands Traumapädagogik. Seit 2020 ist er als Notfallpsychologe und Teamleiter für die Stiftung Carelink im Einsatz und als Kursleiter tätig.
www.schlupfhuus.ch


 

Grosse Solidarität nach den Unwettern im Tessin – ein Gespräch mit Caregiverin Eva Ghanfili

Als das Unwetter die Menschen im Misox und später das Maggiatal traf, war Eva Ghanfili für das Care Team Ticino als Caregiverin im Einsatz. Im Interview berichtet sie über ihre Eindrücke vor Ort und über ihre Motivation für die anspruchsvolle Aufgabe.

Frau Ghanfili, welche Situation haben Sie angetroffen, als Sie an den beiden Unglücksorten eintrafen?
Als das Unwetter das Misox traf, hatte ich zufällig Pikett. Zu zweit sind wir am Tag danach hingereist. Vier Menschen wurden noch vermisst und die Bergungs- und Sucharbeiten waren in vollem Gang. Unsere Aufgabe war vor allem die Betreuung von zwei jungen Menschen, die ihre Eltern nicht erreichen konnten. Beim Unwetter im Maggiatal wurden mehrere Orte von der Umwelt abgeschnitten und die Bewohnerinnen und Bewohner mussten per Helikopter ausgeflogen werden. Ich war mit dem Careteam am Landeplatz, um die Betroffenen zu unterstützen.

Was waren die dringendsten Bedürfnisse der Betroffenen?
In erster Linie ging es darum, für die Angehörigen der Vermissten da zu sein und ihnen zu helfen, die Ungewissheit auszuhalten. Es kamen viele Fragen auf, die wir nicht beantworten konnten. Das ist ein wichtiger Grundsatz: Wir geben nur gesicherte Informationen weiter und sprechen immer in der Gegenwartsform, auch wenn wir vom Schlimmsten ausgehen müssen. Praktische Dinge mussten ebenfalls organisiert werden: Kleider, eine Übernachtungsmöglichkeit, die Information von Schule oder Arbeitgeber. Viele Menschen erzählten uns, wo sie gewesen waren, als das Unwetter kam. Einige Jugendliche im Maggiatal waren zum Beispiel an einem Fest und verloren den Kontakt zu ihren Familien. Jemand aus dem Misox sagte mir, sie hätten nur kurz aus dem Fenster geblickt und das Nachbarhaus sei einfach nicht mehr da gewesen.

Haben sich die Bedürfnisse mit der Zeit verändert?
Manche wollten Gegenstände aus den beschädigten Häusern holen, die für sie eine besondere Bedeutung haben. In solchen Fällen versuchen wir, dies möglich zu machen. Wenn eine Todesnachricht eintrifft, geht es vor allem darum, für die Angehörigen da zu sein. Wenn wir aufgeboten werden, begleiten wir sie auch bei der Identifizierung der Opfer. Menschen, die Materielles oder ihr Zuhause verlieren, brauchen auch praktische Unterstützung. Wo erhalten sie frische Kleider? Wo können sie die nächste Zeit wohnen? Müssen sie eine Wohnung suchen?

Was war das Besondere an diesen zwei Einsätzen?
Ich war zum ersten Mal nach einem solch intensiven Unwetter im Einsatz. Es war emotional schwierig, doch mit zunehmender Erfahrung habe ich gelernt, damit umzugehen. Ich lebe seit 42 Jahren im Tessin und gerade diese Unwetter im Misox und Maggiatal haben mich stark betroffen gemacht. Die Menschen dort sind es gewohnt, dass ab und zu ein Unwetter kommt, aber so etwas hatten die meisten von ihnen noch nie erlebt. Beeindruckt hat mich auch die grosse Solidarität des ganzen Tessins. Es wurde sofort viel gespendet und viele Vereine organsierten Events, um Geld zu sammeln.

Was tun Sie, um Ihre eigene Resilienz zu stärken?
Ich habe viele Jahre als Pflegefachfrau auf der Intensivstation gearbeitet, wo man viel Trauriges erlebt. Ich sage mir: Das ist nicht meine Geschichte, jeder hat sein eigenes Schicksal. Ich vergleiche es mit einem Buch, und als Caregiverin werde ich für kurze Zeit Teil eines solchen Buchs. Wie kann ich in dieser konkreten Situation behilflich sein? Haben sie zu trinken, zu essen, sind sie an einem sicheren Ort, haben sie warm? Ganz wichtig ist auch, auf mich zu hören. Kann ich noch weiter machen oder soll ich mich ersetzen lassen? Wenn ich heimgehe, versuche ich das Erlebte bewusst zurückzulassen. Meistens dusche ich erstmal. Anderen hilft vielleicht eine Umarmung, allein zu sein, zu joggen. Wieder andere wollen viele Menschen um sich haben. Was helfen kann, lernt man in der Ausbildung.

Was war Ihre Motivation für die Carearbeit?
Durch meinen Beruf und auch privat habe ich immer wieder Schicksalsschläge miterlebt. Ich fragte mich: Wie soll ich damit umgehen? Wie kann ich helfen? Weil es im Tessin noch kein kantonales Careteam gab, machte ich eine Ausbildung im Debriefing. Dann stiess ich 2006 auf Carelink, wo ich mich zur Caregiverin ausbilden liess.


 Eva Ghanfili absolvierte in Winterthur die Erstausbildung zur Pflegefachfrau. Im Tessin, wo sie seit 42 Jahren lebt, machte sie die Zusatzausbildung zur Intensivpflegefachfrau. Bis Ende Januar 2022 hat sie als solche gearbeitet; unter anderem war sie auch Lokalkoordinatorin für Organspenden. Seit 2006 ist sie im Careteam von Carelink und seit 2014 ist sie Teil des Care Teams Ticino.


 

Die Stillen nicht vergessen –
Notfallpsychologin Alice Stucky-Schwitter war nach einer Naturkatastrophe für Carelink im Einsatz

Nachdem eine Unterwalliser Gemeinde kürzlich schwer von einem Unwetter getroffen wurde, suchte sie die Unterstützung von Carelink. Im Interview spricht Notfallpsychologin Alice Stucky-Schwitter über den Umgang der Menschen mit einer unmittelbaren Bedrohung, die Rückkehr in den Alltag und über die wichtige Rolle der Behörden.

Sie waren Anfang Juli für uns als Notfallpsychologin im Einsatz. Was war passiert?
Ende Juni und Anfang Juli gab es zwei grosse Unwetter, die auch das Wallis trafen. Unter anderem traf es Gemeinden im Unterwallis, wo unerwartete Murgänge niedergingen. Einige Ortsteile wurden von der Umwelt abgeschnitten, andere waren unmittelbar gefährdet.

Welche Situation haben Sie angetroffen?
Als ich rund eine Woche nach dem Ereignis in einer der betroffenen Gemeinden eintraf, war die unmittelbare Bedrohung vorbei und die meisten Bewohnerinnen und Bewohner waren zurück in ihren Häusern. Es kamen zum Glück weder Mensch noch Tier zu schaden, aber ein Campingplatz und ein Bauernhof können nie mehr betrieben werden. Fachleute und auch Privatpersonen waren mit Aufräum- und Sicherungsarbeiten beschäftigt, und viele arbeiteten auf dem Feld, weil endlich schönes Wetter war. Eine Siedlung aus Einfamilienhäusern, wo vor allem junge Paare und Familien wohnen, war aus Sicherheitsgründen aber immer noch gesperrt.

Wie ging es den Betroffenen?
Die Erste Hilfe durch Zivilschutz, Polizei und Feuerwehr war sehr gut organisiert und die Menschen hatten viel Solidarität und gegenseitige Hilfe erfahren. Das hilft nicht nur in der Not selbst, sondern man zehrt auch später noch davon. Auch wenn die Gefahr vorbei war, spürte man die Angst aber immer noch. Wie geht es weiter? Was passiert beim nächsten Unwetter? Für jene, die bald zurückkehren konnten, war es einfacher, denn sie konnten etwas tun und dabei auch um das Verlorene trauern. Das Abwarten ist viel schwieriger, denn es ist mit einem Gefühl der Ohnmacht verbunden. In der Notfallpsychologie empfehlen wir deshalb immer: Geht zurück in den Alltag und orientiert euch wieder an euren Aufgaben. So kann ein Ausnahmeereignis viel schneller abgeschlossen werden.

Was konnten die Familien tun, die nicht wussten, ob sie jemals zurückkehren können?
Kleine alltägliche Aktivitäten und Gewohnheiten sind dann sehr wichtig. Etwas mit den Kindern machen, einkaufen, kochen. Dies hilft, um nicht ständig über die Situation zu sprechen oder darüber nachzudenken. Das war eine häufige Frage von jungen Müttern: Wie spreche ich mit den Kindern? Was soll ich ihnen erzählen? Wichtig ist es auch, immer wieder die Spannung abzubauen.

Was passiert aus psychologischer Sicht bei so einem Ereignis?
In der akuten Situation sind wir Menschen in einer Alarmsituation. Die Angst löst starke Stressreaktionen im Körper aus, die dem Sichern des Überlebens dienen. Wir kämpfen, fliehen oder sind wie gelähmt. Wenn die unmittelbare Bedrohung vorbei ist, können diese nachwirken in Form von Reaktionen wie zum Beispiel innere Unruhe, Schlaflosigkeit, mangelnde Konzentration, oder Flashbacks. Es ist möglich, dass diese auch erst Tage später auftreten. In den meisten Fällen klingen die Stressreaktionen wieder ab, denn der Mensch ist dafür gemacht zu überleben.

Angesichts der Folgen des Klimawandels dürften in einigen Regionen der Schweiz Unwetter zunehmen. Wie geht es Menschen, die mit der latenten Gefahr leben müssen, weil sie in einer Risikozone leben?
Das Gefühl von Schutz und Sicherheit ist sehr wichtig. Gemeinde und Kanton müssen mit baulichen Massnahmen und Schutzvorrichtungen die Sicherheit so gut wie möglich wieder herstellen und darüber informieren. Auch Privatpersonen können sich auf solche Ereignisse vorbereiten, indem sie zum Beispiel einen Ort haben, wo sie bei Bedarf hingehen können. Es gibt aber Menschen, die das besser aushalten als andere. Ob jemand bleibt oder vielleicht wegzieht, hängt auch davon ab, wie stark jemand mit dem Ort verbunden ist.

Haben Sie beim Einsatz im Wallis neue Erkenntnisse gewonnen?
Nicht eine neue Erkenntnis, aber eine Bestätigung: Wir dürfen die Stillen nicht vergessen, die weiter weg sind vom Geschehen. Nicht vergessen werden heisst, im Kontakt und eingebunden zu sein, Solidarität zu erfahren, Informationen zu erhalten. Viele brauchen keine Hilfe oder haben ein gutes Umfeld. Aber es gibt auch Menschen, die sich in der Not isolieren und im Erlebten erstarren. Im Austausch mit anderen wandelt sich das. Wir sollten speziell auf diejenigen achten, die sich besonders still verhalten.


Alice Stucky-Schwitter ist im Oberwallis aufgewachsen und lebt auf der Bettmeralp. Sie ist seit 40 Jahren mit einem Bergführer verheiratet und der Umgang mit Naturgefahren ist für sie deshalb ein Alltagsthema. Sie hat über 40 Jahre als Psychologin gearbeitet, zuletzt im Ambulatorium des Psychiatriezentrums Oberwallis. Seit 2006 ist sie zertifizierte Notfallpsychologin bei Carelink.


 

SRF «Treffpunkt» zum Thema Careteams

Unser Geschäftsleiter Walter Kaelin war zu Gast bei Dani Fohrler in der SRF-Radiosendung «Treffpunkt». Zusammen mit Irmela Moser vom Careteam Bern sprach er über die Entstehung von Careteams und ihre Unterstützung bei ausserordentlichen Ereignissen.

Die ganze Sendung gibt es hier zum Nachhören.

Resilienz über die Lebensspanne – Myriam V. Thoma über den Umgang mit traumatischen Erlebnissen

 

Resiliente Menschen schaffen es, auch sehr widrige Lebensumstände oder schwere Schicksale zu bewältigen, ohne dass diese tiefe Narben in der Psyche hinterlassen. Resilienz ist abhängig von Faktoren wie dem Selbstwert, dem empfundenen sozioökonomischen Status oder dem Alter. Wichtig ist es auch, traumatische Erfahrungen aufzuarbeiten. Obwohl dies grundsätzlich besser zeitnah geschieht: zu spät ist es dafür nie.

Bilder: Paul Senn, FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS, Bern

Wissenschaftler*innen der Universität Zürich haben untersucht, wovon bei ehemaligen Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierung, zu denen auch ehemalige Verdingkinder zählen, eine höhere Resilienz abhängt. Die Ergebnisse zeigen, dass diese insbesondere mit einem höheren Selbstwert, einer tieferen Tendenz, negative Emotionen zu empfinden, einem höheren subjektiven sozioökonomischen Status und einem höheren Einkommen verknüpft ist. Auch ein höheres Lebensalter ist ein wichtiger Faktor: Älteren Menschen scheint es aufgrund ihrer grösseren Lebenserfahrung besser als Jüngeren zu gelingen, mit Herausforderungen umzugehen, sich an Veränderungen anzupassen und Krisen zu bewältigen.

Gesundes Altern ist trotz widriger Umstände möglich
Ebenfalls sehr wichtig für die Resilienz ist es, traumatische Erfahrungen aufzuarbeiten. Indem das erlebte Schicksal reflektiert wird und die damit verbundenen Gefühle und erlernten Verhaltens- und Gedankenmuster bearbeitet werden, bleiben die Betroffenen nicht in der Vergangenheit gefangen oder verbittern.
Die Studienresultate zeigen auch, dass gesundes Altern trotz widriger Umstände möglich ist. Eine wichtige Rolle spielen dabei Leichtherzigkeit, soziales Engagement und die Bemühung um harmonische Beziehungen sowie die persönliche Weiterentwicklung. Es geht nicht darum, das Erlebte schönzureden, sondern in der Gegenwart Momente der Freude und der Dankbarkeit zu finden.

Traumatische Kindheitserlebnisse verjähren nicht
Im Rahmen der Studien haben viele betagte Teilnehmende zum ersten Mal in ihrem Leben über ihr Schicksal gesprochen, weil sie sich für das Erlebte schämten oder das Sprechen darüber für sie zu belastend war. Besser ist es zwar, früher (professionelle) Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber es ist nie zu spät für eine Intervention. Denn unterdrückte traumatische Erfahrungen und negative Emotionen haben nicht nur einen schädlichen Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit, sondern können sich auch negativ auf das soziale Leben, die Bildung, den Beruf und die finanzielle Situation auswirken.

Psychische Störungen entstigmatisieren
Da der Einfluss traumatischer Kindheitserlebnisse nicht verjährt, müssen Menschen für die Thematik sensibilisiert und psychische Störungen entstigmatisiert werden. Wichtig wäre auch die soziale Anerkennung des Leides, das bestimmte ältere Bevölkerungsgruppen in der Schweiz im 20. Jahrhundert erfahren haben.


Privatdozentin Dr. Myriam V. Thoma arbeitet als Oberassistentin am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Zusammen mit Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker leitet sie die Forschungsgruppe ‚Resilienz‘ am Universitären Forschungsschwerpunkt ‚Dynamik Gesunden Alterns‘. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem den Themengebieten Psychopathologie, Stress, Trauma sowie Resilienz über die Lebensspanne.

Mehr über Myriam Thoma


Weiterführende Links:

Artikel der Universität Zürich über Verdingkinder

Fachbeitrag in der Zeitschrift Clinical Psychology & Psychotherapy  

Höltge, J., McGee, S. L., Maercker, A., & Thoma, M. V. (2018). Childhood adversities and thriving skills: Sample case of older Swiss former indentured child laborers. The American Journal of Geriatric Psychiatry, 26(8), 886-895.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie Traumata über Generationen
weitergegeben werden

 

Am 23. Mai fand an der Paulus Akademie in Zürich eine Podiumsdiskussion statt zum Thema «Der Lange Schatten des Traumas». Dr. Rahel Bachem, Forscherin und Psychotherapeutin an der Universität Zürich, und Carelink-Mitarbeiterin Dr. Mareike Augsburger, Notfallpsychologin und Trauma-Expertin, boten vor einem interessierten und aktiven Publikum einen Einblick in die komplexe Welt der transgenerationalen Traumata.

Bild: Paulus Akadamie, Zürich

Die Expertinnen stiegen mit einer Begriffsschärfung ins Thema ein: Was bedeutet «Trauma» aus fachlicher Sicht? Ein Trauma oder fachsprachlich korrekt «potenziell traumatisches Ereignis» ist die Konfrontation mit einem belastenden Ereignis wie einem Unfall, einer Verletzung, Gewalt oder einer Naturkatastrophe. Häufig erleben Betroffene in den ersten Tagen bis Wochen starke Reaktionen. Man ordnet diese ein als völlig normale Reaktionen auf abnormale Ereignisse. In den allermeisten Fällen reduziert sich diese Belastung innert weniger Wochen.

Von einer Traumafolgestörung wie zum Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – umgangssprachlich gerne Traumatisierung genannt – spricht man dann, wenn das Trauma nachhaltige Folgen hat und Betroffene auch Monate später noch starke Auswirkungen auf ihre Gesundheit spüren. Doch obwohl traumatische Ereignisse tiefe und langanhaltende Spuren in der Psyche hinterlassen können, betrifft dies in unseren vergleichsweise privilegierten Breitengraden nur einen Bruchteil der betroffenen Personen. Die allermeisten sind sehr resilient und können ihre belastenden Erfahrungen mittel- bis langfristig gut in ihr Leben integrieren.
Traumata können auch nachfolgende Generationen betreffen Transgenerationale oder intergenerationale Traumata sind psychische Belastungen, die nicht nur Folgen für die direkt Betroffenen eines traumatischen Ereignisses haben, sondern an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Dieser Prozess der Weitergabe beeinflusst das emotionale, psychische und manchmal sogar physische Wohlbefinden der Nachkommen.

Die Podiumsteilnehmerinnen diskutierten verschiedene Mechanismen der Weitergabe:

  • Bindung, Erziehungsstile und Verhaltensmuster: Ungünstige Bewältigungsstrategien können unbewusst an den Nachwuchs weitergegeben werden. Oft sind ungünstige Bindungsstile, ein dysfunktionaler Umgang mit Konflikten und Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung charakteristisch.
  • Emotionale Dysregulation: Personen mit schlecht verarbeiteten traumatischen Erlebnissen haben manchmal Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation von starken negativen Gefühlen wie Wut, Ärger oder auch Angst.
  • Bewertungen und Grundannahmen über die Welt: Traumatisierte Personen haben oft ein erschüttertes Vertrauen in die Welt mit starken negativen Grundannahmen wie «man kann niemandem trauen» oder «die Welt ist ein schlechter Ort».
  • Epigenetik: Die Epigenetik untersucht den Einfluss der Umwelt auf den genetischen Ausdruck. Studien zeigen, dass traumatische Erfahrungen epigenetische Veränderungen verursachen können und diese an den Nachwuchs weitergegeben werden.

Betroffene von transgenerationalen Traumata erleben oft die genannten ungünstigen Verhaltensweisen, Grundannahmen und Bewältigungsstrategien und lernen, ähnliche Muster wie ihre Vorfahren zu entwickeln. Als Folge können eine veränderte Stressreaktion, zwischenmenschliche Probleme und eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen auftreten. Manchmal entwickeln Kinder Symptome einer PTBS, auch wenn sie selbst kein direktes traumatisches Erlebnis hatten, sondern die Auswirkungen der Traumata ihrer Vorfahren spüren.

Klassische Betroffene transgenerationaler Traumata sind unter anderem Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, Familien von Kriegsgeflüchteten und Überlebende von schweren Gewaltverbrechen. In diesen Kontexten sind die traumatischen Erlebnisse oft so tiefgreifend, dass sie über Generationen hinweg nachwirken und das Leben der Nachkommen nachhaltig beeinflussen.

Psychologische Unterstützung kann auch für Nachkommen hilfreich sein
Die Expertinnen präsentierten im Anschluss Therapiemöglichkeiten zur Behandlung und die Versorgungssituation in der Schweiz und im Ausland. Während Verfahren der traumafokussierten Psychotherapie bei Betroffenen spezifisch mit PTBS-Symptomatik wirkungsvoll eingesetzt werden, helfen gut etablierte andere Methoden, um transgenerationale Erfahrungen aufzuarbeiten und einen besseren Umgang damit zu finden.

Die Podiumsdiskussion hat eindrucksvoll verdeutlicht, wie vielschichtig und weitreichend das Thema ist. Es bleibt eine wichtige Aufgabe, weiterzuforschen und den Zugang zu Unterstützung weltweit zu verbessern. Ausserdem zeigte die Diskussion, wie wichtig eine frühzeitige Betreuung Betroffener noch in der Akutphase ist, wie dies Carelink tut. So können wir das Risiko der Entstehung von Traumafolgestörungen mindern und langanhaltenden Gesundheitseinschränkungen vorbeugen.