Resilienz über die Lebensspanne – Myriam V. Thoma über den Umgang mit traumatischen Erlebnissen
Resiliente Menschen schaffen es, auch sehr widrige Lebensumstände oder schwere Schicksale zu bewältigen, ohne dass diese tiefe Narben in der Psyche hinterlassen. Resilienz ist abhängig von Faktoren wie dem Selbstwert, dem empfundenen sozioökonomischen Status oder dem Alter. Wichtig ist es auch, traumatische Erfahrungen aufzuarbeiten. Obwohl dies grundsätzlich besser zeitnah geschieht: zu spät ist es dafür nie.
Bilder: Paul Senn, FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS, Bern
Wissenschaftler*innen der Universität Zürich haben untersucht, wovon bei ehemaligen Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierung, zu denen auch ehemalige Verdingkinder zählen, eine höhere Resilienz abhängt. Die Ergebnisse zeigen, dass diese insbesondere mit einem höheren Selbstwert, einer tieferen Tendenz, negative Emotionen zu empfinden, einem höheren subjektiven sozioökonomischen Status und einem höheren Einkommen verknüpft ist. Auch ein höheres Lebensalter ist ein wichtiger Faktor: Älteren Menschen scheint es aufgrund ihrer grösseren Lebenserfahrung besser als Jüngeren zu gelingen, mit Herausforderungen umzugehen, sich an Veränderungen anzupassen und Krisen zu bewältigen.
Gesundes Altern ist trotz widriger Umstände möglich
Ebenfalls sehr wichtig für die Resilienz ist es, traumatische Erfahrungen aufzuarbeiten. Indem das erlebte Schicksal reflektiert wird und die damit verbundenen Gefühle und erlernten Verhaltens- und Gedankenmuster bearbeitet werden, bleiben die Betroffenen nicht in der Vergangenheit gefangen oder verbittern.
Die Studienresultate zeigen auch, dass gesundes Altern trotz widriger Umstände möglich ist. Eine wichtige Rolle spielen dabei Leichtherzigkeit, soziales Engagement und die Bemühung um harmonische Beziehungen sowie die persönliche Weiterentwicklung. Es geht nicht darum, das Erlebte schönzureden, sondern in der Gegenwart Momente der Freude und der Dankbarkeit zu finden.
Traumatische Kindheitserlebnisse verjähren nicht
Im Rahmen der Studien haben viele betagte Teilnehmende zum ersten Mal in ihrem Leben über ihr Schicksal gesprochen, weil sie sich für das Erlebte schämten oder das Sprechen darüber für sie zu belastend war. Besser ist es zwar, früher (professionelle) Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber es ist nie zu spät für eine Intervention. Denn unterdrückte traumatische Erfahrungen und negative Emotionen haben nicht nur einen schädlichen Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit, sondern können sich auch negativ auf das soziale Leben, die Bildung, den Beruf und die finanzielle Situation auswirken.
Psychische Störungen entstigmatisieren
Da der Einfluss traumatischer Kindheitserlebnisse nicht verjährt, müssen Menschen für die Thematik sensibilisiert und psychische Störungen entstigmatisiert werden. Wichtig wäre auch die soziale Anerkennung des Leides, das bestimmte ältere Bevölkerungsgruppen in der Schweiz im 20. Jahrhundert erfahren haben.
Privatdozentin Dr. Myriam V. Thoma arbeitet als Oberassistentin am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Zusammen mit Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker leitet sie die Forschungsgruppe ‘Resilienz’ am Universitären Forschungsschwerpunkt ‘Dynamik Gesunden Alterns’. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem den Themengebieten Psychopathologie, Stress, Trauma sowie Resilienz über die Lebensspanne.
Weiterführende Links:
Artikel der Universität Zürich über Verdingkinder
Fachbeitrag in der Zeitschrift Clinical Psychology & Psychotherapy
Höltge, J., McGee, S. L., Maercker, A., & Thoma, M. V. (2018). Childhood adversities and thriving skills: Sample case of older Swiss former indentured child laborers. The American Journal of Geriatric Psychiatry, 26(8), 886-895.