Wie Traumata über Generationen weitergegeben werden
Am 23. Mai fand an der Paulus Akademie in Zürich eine Podiumsdiskussion statt zum Thema «Der Lange Schatten des Traumas». Dr. Rahel Bachem, Forscherin und Psychotherapeutin an der Universität Zürich, und Carelink-Mitarbeiterin Dr. Mareike Augsburger, Notfallpsychologin und Trauma-Expertin, boten vor einem interessierten und aktiven Publikum einen Einblick in die komplexe Welt der transgenerationalen Traumata.
Bild: Paulus Akadamie, Zürich
Die Expertinnen stiegen mit einer Begriffsschärfung ins Thema ein: Was bedeutet «Trauma» aus fachlicher Sicht? Ein Trauma oder fachsprachlich korrekt «potenziell traumatisches Ereignis» ist die Konfrontation mit einem belastenden Ereignis wie einem Unfall, einer Verletzung, Gewalt oder einer Naturkatastrophe. Häufig erleben Betroffene in den ersten Tagen bis Wochen starke Reaktionen. Man ordnet diese ein als völlig normale Reaktionen auf abnormale Ereignisse. In den allermeisten Fällen reduziert sich diese Belastung innert weniger Wochen.
Von einer Traumafolgestörung wie zum Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – umgangssprachlich gerne Traumatisierung genannt – spricht man dann, wenn das Trauma nachhaltige Folgen hat und Betroffene auch Monate später noch starke Auswirkungen auf ihre Gesundheit spüren. Doch obwohl traumatische Ereignisse tiefe und langanhaltende Spuren in der Psyche hinterlassen können, betrifft dies in unseren vergleichsweise privilegierten Breitengraden nur einen Bruchteil der betroffenen Personen. Die allermeisten sind sehr resilient und können ihre belastenden Erfahrungen mittel- bis langfristig gut in ihr Leben integrieren.
Traumata können auch nachfolgende Generationen betreffen Transgenerationale oder intergenerationale Traumata sind psychische Belastungen, die nicht nur Folgen für die direkt Betroffenen eines traumatischen Ereignisses haben, sondern an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Dieser Prozess der Weitergabe beeinflusst das emotionale, psychische und manchmal sogar physische Wohlbefinden der Nachkommen.
Die Podiumsteilnehmerinnen diskutierten verschiedene Mechanismen der Weitergabe:
- Bindung, Erziehungsstile und Verhaltensmuster: Ungünstige Bewältigungsstrategien können unbewusst an den Nachwuchs weitergegeben werden. Oft sind ungünstige Bindungsstile, ein dysfunktionaler Umgang mit Konflikten und Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung charakteristisch.
- Emotionale Dysregulation: Personen mit schlecht verarbeiteten traumatischen Erlebnissen haben manchmal Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation von starken negativen Gefühlen wie Wut, Ärger oder auch Angst.
- Bewertungen und Grundannahmen über die Welt: Traumatisierte Personen haben oft ein erschüttertes Vertrauen in die Welt mit starken negativen Grundannahmen wie «man kann niemandem trauen» oder «die Welt ist ein schlechter Ort».
- Epigenetik: Die Epigenetik untersucht den Einfluss der Umwelt auf den genetischen Ausdruck. Studien zeigen, dass traumatische Erfahrungen epigenetische Veränderungen verursachen können und diese an den Nachwuchs weitergegeben werden.
Betroffene von transgenerationalen Traumata erleben oft die genannten ungünstigen Verhaltensweisen, Grundannahmen und Bewältigungsstrategien und lernen, ähnliche Muster wie ihre Vorfahren zu entwickeln. Als Folge können eine veränderte Stressreaktion, zwischenmenschliche Probleme und eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen auftreten. Manchmal entwickeln Kinder Symptome einer PTBS, auch wenn sie selbst kein direktes traumatisches Erlebnis hatten, sondern die Auswirkungen der Traumata ihrer Vorfahren spüren.
Klassische Betroffene transgenerationaler Traumata sind unter anderem Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, Familien von Kriegsgeflüchteten und Überlebende von schweren Gewaltverbrechen. In diesen Kontexten sind die traumatischen Erlebnisse oft so tiefgreifend, dass sie über Generationen hinweg nachwirken und das Leben der Nachkommen nachhaltig beeinflussen.
Psychologische Unterstützung kann auch für Nachkommen hilfreich sein
Die Expertinnen präsentierten im Anschluss Therapiemöglichkeiten zur Behandlung und die Versorgungssituation in der Schweiz und im Ausland. Während Verfahren der traumafokussierten Psychotherapie bei Betroffenen spezifisch mit PTBS-Symptomatik wirkungsvoll eingesetzt werden, helfen gut etablierte andere Methoden, um transgenerationale Erfahrungen aufzuarbeiten und einen besseren Umgang damit zu finden.
Die Podiumsdiskussion hat eindrucksvoll verdeutlicht, wie vielschichtig und weitreichend das Thema ist. Es bleibt eine wichtige Aufgabe, weiterzuforschen und den Zugang zu Unterstützung weltweit zu verbessern. Ausserdem zeigte die Diskussion, wie wichtig eine frühzeitige Betreuung Betroffener noch in der Akutphase ist, wie dies Carelink tut. So können wir das Risiko der Entstehung von Traumafolgestörungen mindern und langanhaltenden Gesundheitseinschränkungen vorbeugen.