Betroffene begleiten: Hilfestellungen für Vorgesetzte
Das Aussergewöhnliche kann jederzeit eintreten. Statistisch gesehen trifft es fast uns alle einmal im Leben. Für die erfolgreiche Verarbeitung möglicherweise traumatischer Ereignisse ist es entscheidend, als betroffene Person gesehen zu werden und Anerkennung sowie Unterstützung zu erhalten.
Als Vorgesetzte stehen Sie bei einem Ereignis im Unternehmen vor einer besonderen Herausforderung, denn Sie haben eine Doppelrolle inne. Auf der einen Seite geben Sie als Führungsperson die Richtung vor und übernehmen Verantwortung. Auf der anderen Seite können Sie selbst direkt oder indirekt betroffen sein.
Hilfreiche Grundsätze für die Begleitung
Die persönliche Haltung gegenüber betroffenen Mitarbeitenden kann massgeblich zur erfolgreichen Verarbeitung des Erlebten beitragen. Die folgenden Grundhaltungen unterstützen Betroffene und bieten auch Ihnen selbst Schutz:
- In den ersten Tagen und Wochen ist jede Reaktion normal. Die Situation ist aussergewöhnlich oder “abnormal” – nicht die Reaktion.
- Ich bin offen für das, was meinem Gegenüber guttut, und frage aktiv nach. Meine eigenen Strategien helfen nicht automatisch auch anderen.
- Ich traue meinem Gegenüber zu, die Situation bewältigen zu können.
- Empathisches Zuhören, erzählen lassen und Normalität herstellen ist hilfreich.
- Ich biete aktiv Unterstützung beim weiteren Vorgehen an.
Jeder Mensch hat andere Voraussetzungen
Ein belastendes Ereignis trifft auf eine Person mit individuellen Voraussetzungen. In der Notfallpsychologie wird davon ausgegangen, dass Menschen in der Regel ein für sie bedrohliches Ereignis gut bewältigen können und im besten Fall sogar widerstandsfähiger daraus hervorgehen. Manche Menschen brauchen dafür nur wenige Tage, andere einige Wochen oder Monate. Zum einen ist die Verarbeitung abhängig von der Art, der Dauer und dem Ausmass des Ereignisses. Zum anderen bestimmen Risikofaktoren und Schutzfaktoren der Betroffenen den weiteren Weg.
Individuelle Risikofaktoren, welche die Verarbeitung erschweren:
- frühere traumatische Erfahrungen
- Vorerfahrungen mit Gewalt und Übergriffen
- psychische oder schwere körperliche Erkrankungen in der Vorgeschichte
- emotionale Instabilität im Umfeld
- soziale Isolation
- Krieg, Flucht
Wir wissen heute, dass das Fehlen sozialer Unterstützung die psychische Widerstandskraft besonders stark beeinträchtigt.
Schutzfaktoren, welche die Rückkehr zur Normalität fördern:
- ein stabiles soziales Netz
- Offenheit für den Bewältigungsprozess
- eine akzeptierende und zukunftsorientierte gedankliche Bewertung des Ereignisses
- das Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben
- die Überzeugung, selbstwirksam zu sein
- gesellschaftliche Anerkennung des Erlebten
Take Home – das Wichtigste in Kürze
- Als Vorgesetzte sollten Sie Ihre eigene Haltung im Vorfeld entwickeln und im Ereignisfall auch Ihre persönliche Betroffenheit wahrnehmen, anerkennen und ihr zu gegebener Zeit Raum geben.
- Die Verarbeitung hängt ab von in der Vergangenheit Erlebtem, der Art und dem Ausmass des Ereignisses und dem weiteren Verlauf (persönliche Resilienz und soziale Unterstützung).
- Zusätzlich unterstützt wird die Verarbeitung durch gute Information, Orientierung, und möglichst wenig zusätzliche Angst oder Hilflosigkeit.