Patrick Rohr im Gespräch mit Luzia Tschirky
Willenskraft: Dieses Wort spielt eine zentrale Rolle im Referat von Andreas Krafft und passt auch sehr gut zu Luzia Tschirky. Die Journalistin und Autorin war als SRF-Korrespondentin in der Ukraine, als der Krieg begann, und klärt bis heute unermüdlich darüber auf.
Patrick Rohr stellt Luzia Tschirky als Journalistin mit beeindruckender Karriere vor. Mit nur 29 Jahren wurde sie Korrespondentin in Moskau, wo sie sich in Land und Menschen verliebte. Dann kam der 24. Februar 2022. Patrick Rohr: «Dein ganzes Leben wurde auf den Kopf gestellt: Du wurdest Kriegskorrespondentin und musstest deine Heimat aufgeben.» Luzia Tschirky erzählt von den ersten Tagen: vom Adrenalin und dem starken Fokus auf der einen Seite – dem Schock, dem Gedanken «das muss aufhören!» auf der anderen Seite. «Für mich war klar, dass dies eine Zäsur ist», sagt sie. Ihr Mann, der damals noch in Moskau war, habe damals noch gedacht, es beruhige sich bald wieder.
«Ich versuche zu tun, was ich kann»
Patrick Rohr liest immer wieder Ausschnitte aus ihrem Buch «Live aus der Ukraine» vor, das er «in einem Zug» gelesen habe. Luzia Tschirky erzählt darin detailliert vom Krieg und ihrer Arbeit, von den betroffenen Menschen und von ihren Gedanken als Journalistin und Mensch. «Ich versuche zu tun, was ich kann – indem ich ein Buch schreibe oder Einladungen annehme wie diese hier», sagt sie.
Patrick Rohr spricht sie auf die Kritik an, sie habe als Journalistin zu rasch und zu klar Stellung bezogen. Ob sie dies wieder so tun würde? Luzia Tschirky erzählt von ihrem Sinn für Gerechtigkeit, der sie schon als Kind umgetrieben und auch immer mal wieder in Schwierigkeiten gebracht habe. «Für mich war dies nicht aussergewöhnlich. Die Faktenlage war eindeutig. Ich fragte mich eher: Hätte ich es nicht früher sehen müssen?»
Den Überlebenden eine Stimme geben
Zurzeit darf Luzia Tschirky nicht in Russland arbeiten. Ihre Akkreditierung sei offiziell in Bearbeitung, aber sie ist überzeugt, dass sie «persona non grata» ist. «Ihr musstet eurer Leben in Russland aufgeben», so Patrick Rohr. «War es das wert?» Sie habe ja flüchten und sich in Sicherheit bringen können, entgegnet sie.
Aus Polen und der Schweiz reiste sie immer wieder in die Ukraine, um zu berichten. Sie führte Gespräche mit Menschen nach Angriffen, war auch am Massengrab in Butscha. «Ich war ständig mit dem Tod konfrontiert», erzählt Luzia Tschirky. «Bei jeder Rückkehr tauchte ich in ein Meer aus Tränen und Blut ein.» Man könne nichts mehr tun, die Menschen seien bereits tot. «Aber ich kann versuchen, den Überlebenden eine Stimme zu geben.»
Die eigenen Privilegien nutzen
Im Jahr 2023 wurde Luzia Tschirky Mutter, und als ihr Baby vier Monate alt und ihr Mutterschaftsurlaub vorbei war, reiste sie wieder in die Ukraine. Patrick Rohr möchte wissen, wieso. «Der Krieg hat mich stark verändert, mein Sicherheitsgefühl hat sich verändert», sagt sie. Ein Restrisiko bleibe immer, aber es sei sehr klein. «Ich fühle mich verpflichtet, mir meiner Privilegien bewusst zu sein und sie zu nutzen.»


