Wie sag ichs meinem Kinde?
Der besondere Umgang mit dem Tod.
Eine nahe stehende Person ist gestorben. Wie überbringe ich diese Nachricht meinem Kind? Prof. Dr. Gernot Brauchle* hat seine Antworten mehr als 100 Freiwilligen und Notfallpsychologen von Carelink präsentiert. An der Freiwilligentagung in Luzern plädierte er eindrücklich und mit konkreten Beispielen für einen kind- und altersgerechten Umgang mit dem Thema Tod.
Erwachsene neigen zum vermeintlichen Schutz von Kindern dazu, das Thema Tod und Sterben «totzuschweigen». Deshalb werden Kinder nach einschneidenden Ereignissen oft «übersehen». Ein fataler Fehler, denn damit wird ihnen die Möglichkeit entzogen, auf ihre Art zu trauern, Fragen zu stellen und so Ängste und Unsicherheit abzubauen. Sie sind ausgeschlossen, können nicht zur Trauerarbeit der Familie beitragen, wodurch sie ein Stück Kontrolle wiedererlangen würden.
Eltern entscheiden oft für die Kinder, dass diese an der Beisetzung zum Beispiel des Grossvaters nicht teilnehmen werden, weil der Anlass für sie zu traurig sei. Richtig wäre, sie zu fragen, ob sie dabei sein wollen oder nicht. Die Frage können auch kleinere Kinder durchaus beantworten, selbst wenn sie noch nicht genau wissen, was das bedeutet. Doch die Frage zeigt ihnen, dass sie Teil der Familie sind.
Je nach Alter hat Tod eine andere Bedeutung
Das Alter der Kinder bestimmt, wie Erwachsene am besten mit ihnen umgehen, wenn es um Tod und Sterben geht:
- Unter drei Jahren: Ab etwa dem siebten Lebensmonat haben Kinder bereits stabile Bindungen aufgebaut. Stirbt jemand, wird die Person verzweifelt gesucht. Die Kinder weinen.
- Von drei bis sechs Jahren: Diese Alterskategorie hat eine ganz besondere Beziehung zum Tod: Er ist für sie austauschbar, nicht endgültig. Kinder in diesem Alter betrachten das Totsein als Zwischenzustand: Wer tot ist, kann wieder lebendig werden – ein bisschen wie ein kaputtes Spielzeug, das wieder geflickt werden kann. Deshalb weinen Kinder zwischen drei und sechs Jahren nicht unbedingt. Sie leben in einer magischen Welt, in der ein toter Bruder ins Leben zurückgezaubert werden kann: «Auf Weihnachten wird er bestimmt nach Hause kommen.» Oder dann lebt die verstorbene Person in anderer Form weiter. Daraus entstehen Fragen wie diese: «Essen Tote dasselbe wie wir?»
- Von sechs bis neun Jahren: Nun haben die Kinder ein Zeitgefühl und wissen, dass der Tod endgültig ist. Für sie ist aber Totsein etwas für Alte und Kranke. Stirbt eine jüngere Person, können Kinder dieses Alters die Tatsache nur schwer hinnehmen, da sie nicht in ihre Realität passt und sie an die Unsterblichkeit zu glauben beginnen: «Vielleicht ist mein Bruder gar nicht richtig tot – vielleicht schläft er nur ganz fest oder hält die Luft an.» Der Tod ist für diese Alterskategorie auch faszinierend, er ist spannend, aufregend, interessant, ja sogar gruselig.
- Von neun bis zwölf Jahren: Jetzt wissen die Kinder, dass alle Menschen sterben müssen, unabhängig ihres Alters, und jetzt wollen die Kinder exakte Informationen.
- Ab zwölf Jahren: Jugendliche in der Pubertät beschäftigen sich meist intensiv mit dem Tod und damit, was danach sein könnte. Sie hinterfragen die Informationen, die sie bis jetzt zum Thema hatten: «Kann ich das, was meine Eltern, meine Lehrer usw. erzählen, auch wirklich glauben?» Den alten Kinderglauben werfen sie über Bord. Was die Freundinnen und die Kollegen sagen und glauben, gewinnt an Bedeutung.
Wahrnehmung des Todes beeinflusst Trauerarbeit
Je nach Alter und Wahrnehmung des Todes gehen Kinder anders mit dem Thema um. Danach sollte sich auch das Verhalten der Erwachsenen gegenüber Kindern richten. Für alle Altersklassen gilt indessen der Dreierschritt der Kommunikation:
- Ehrlich informieren
- Die eigenen Emotionen und die des Kindes ansprechen
- Sicherheit und Hoffnung geben
Eine Faustregel: Die Fragen der Kinder leiten die Kommunikation. Auf diese Fragen sollten die Erwachsenen ehrlich und sofort antworten. Wenn sie etwas nicht wissen, sollen sie dies zugeben. Ganz wichtig ist, dass sie nur Antworten auf die Fragen der Kinder geben. Antworten auf Fragen, welche die Kinder gar nicht beschäftigen, verwirren mehr, als dass sie Halt geben.
Kinder stellen nicht nur unterschiedliche Fragen, sie reagieren auch unterschiedlich: Während die einen weinen, werden andere aggressiv, wieder andere ziehen sich in sich selbst zurück. Auch hier ist ein altersgerechter Umgang wichtig. Helfen können folgende Tätigkeiten:
- Malen, modellieren, Rollenspiele spielen
- Das Abschiednehmen erleichtern: Botschaft, Bild, Kuscheltier in den Sarg legen, den Sarg schmücken oder bemalen, die verstorbene Person nochmals anfassen, ihr etwas ins Ohr flüstern. Auf jeden Fall die Kinder fragen, was sie tun möchten.
- Zuversicht vermitteln: Die Kinder dürfen sich einen tröstlichen Himmel vorstellen. Sie brauchen Orientierung, Stabilität und Kontinuität, und sie müssen wissen, dass sie mit ihren weiteren Bezugspersonen zusammenbleiben werden, dass das Leben weitergeht. Ganz wichtig ist, in dieser Phase den normalen Tagesablauf einzuhalten mit Mahlzeiten, Schule, Spiel und Ritualen wie der Gute-Nacht-Geschichte.
- Kinder zu nichts zwingen, aber überall einbeziehen, wo sie es wünschen.
Dem Tod kann niemand entgehen, der Trauer auch nicht. Kleine Kinder können das noch nicht begreifen. Das heisst aber nicht, dass sie die Erwachsenen von der Erfahrung des Todes fernhalten sollen. Vielmehr müssen sie dem Kind und dessen Alter entsprechend mit dem Thema umgehen.
* Prof. Dr. Gernot Brauchle ist Gesundheits- und Notfallpsychologe und leitet das Institut für Angewandte Psychologie an der UMIT Tirol, der privaten Universität für Gesundheitswissenschaften sowie medizinische Informatik und Technik.