«Wer selbst sicher ist, kann Sicherheit geben.»

Buchautorin Barbara Preitler zum Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen.

Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, brauchen Hilfe. Wie können ihnen Helferinnen und Helfer sinnvoll und wirksam begegnen? Die Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Barbara Preitler macht Mut. Der Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen hat auch Parallelen zur Notfallpsychologie.

Kleinste Gesten gegenüber Flüchtlingen können wirken. Viele haben den Zusammenbruch aller Sicherheiten erlebt. Sie können Sicherheit wieder erfahren durch sichere Begegnungen, offene Information und klare Grenzen, aber auch indem Versprechen ihnen gegenüber eingehalten werden oder indem sie sich einen imaginären inneren Ort schaffen, an dem sie sich geborgen fühlen.

Barbara Preitler beschreibt das alles in ihrem Buch «An ihrer Seite sein»*. Sie macht die Leserinnen und Leser Stück für Stück und leicht verständlich mit dem Grundwissen der Psychotraumatologie von Flüchtlingen vertraut. Darauf aufbauend, zeigt sie, wie ihnen Helferinnen und Helfer gegenübertreten können. Konkret stellt sie zehn Folgen von Traumatisierungen und mögliche Gegengewichte dar.

Das Buch versteht sich als Ratgeber und Leitfaden für freiwillige Helferinnen und Helfer, schafft Zuversicht und motiviert, sich auf zwischenmenschliche Begegnungen einzulassen, dem eigenen Tun zu vertrauen und so der Ohnmacht im Umgang mit diesen Themen zu entkommen. Carelink hat dazu noch ein paar Fragen an Barbara Preitler gerichtet:

Frau Preitler, Sie forschen unter anderem zu Extremtraumatisierungen, wie sie durch Folter und Krieg entstehen können, und zu interkultureller psychologischer und therapeutischer Betreuung. Was war der konkrete Auslöser für das Buch «An ihrer Seite sein»?

Barbara Preitler: Ich arbeite seit mehr als 25 Jahren als Psychotherapeutin bei Hemayat – das ist ein Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien. Aus dieser praktischen Erfahrung und aus der Forschung weiss ich, wie wichtig es ist, Menschen, die nach schweren Traumata um Hilfe bitten, diese so schnell wie möglich zu geben. Aber da stossen wir selbst in einem reichen mitteleuropäischen Land wie Österreich schnell an unsere Grenzen. Wir haben eine lange Warteliste für die Psychotherapie.

Doch es braucht nicht immer professionelle Hilfe. Ich bin überzeugt, dass Menschen, die durch andere Menschen traumatisiert worden sind, vor allem eines brauchen: heilsame Begegnungen, oder noch besser: heilsame Beziehungen. Und die können überall stattfinden, wo Menschen sich begegnen.

Der Umgang mit Flüchtlingen, wie Sie ihn beschreiben, ähnelt notfallpsychologischen Interventionen. Menschen etwa erzählen zu lassen, was sie erlebt haben, dürfte in beiden Situationen eminent wichtig sein, oder nicht?

Barbara Preitler: Das Leben vieler Flüchtlinge ist geprägt von vielen Traumata. Daher wären sie eigentlich immer wieder in Situationen, wo notfallpsychologische Intervention sehr hilfreich wäre. Leider werden aber die meisten Flüchtlinge selten oder gar nicht so behandelt. Oft sogar im Gegenteil:

Nach einer lebensgefährlichen Flucht dürfen sie überfüllte Schiffe nicht verlassen oder werden in gefängnisartiger Unterbringung auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft – meist ohne irgendeine Form der psychosozialen Unterstützung.

Einen sicheren und ruhigen Raum zu geben, damit erzählt werden kann, ist nach traumatischen Situationen immer günstig. Wichtig ist aber auch, dass auch geschwiegen werden darf. Es sollte ein Beziehungsangebot da sein, in dem erzählt werden darf, aber nicht muss. Die betroffene Person soll für sich entscheiden können, was und wann sie über das Erlittene berichten will. Die zuhörende Person hilft zu strukturieren und zu verstehen.

Die Möglichkeiten, zu intervenieren und zu unterstützen, scheinen so einfach zu sein. Sie sagen, dass es für den würdevollen und anerkennenden Umgang mit Flüchtlingen kein Psychologie-Studium brauche. Ist dieser Umgang tatsächlich so leicht und einfach?

Barbara Preitler: Ja und nein. Würdevoll und anerkennend mit Menschen umzugehen, egal woher sie kommen, sollte eine mitmenschliche Selbstverständlichkeit sein. Und dazu sind wir ja auch alle befähigt. Manchmal wird auch durch uns «Profis» zu viel Angst geschürt, dass traumatisierten Menschen nur mit spezieller Vorbildung begegnet werden könne. Das ist aber auch entwürdigend, da diese Haltung ausser Acht lässt, dass traumatisierte Menschen zwar verletzt, aber nach wie vor «normal» sind. Wir können die Analogie zur körperlichen Verletzung nutzen: Mit einem Menschen, der sich das Bein gebrochen hat, reden wir ja auch normal weiter.

Anders als bei einer körperlichen Verletzung sind die seelischen Verletzungen aber viel versteckter – oft auch für die Betroffenen selbst. Daher gilt es natürlich auch, gewisse Regeln zu befolgen.

Wie schaffen Sie es, Ihre zuversichtliche Haltung in der Arbeit mit Flüchtlingen zu wahren?

Barbara Preitler: Das liegt zum einen an den Menschen, denen ich in dieser Arbeit begegne. Immer wieder erlebe ich, dass Menschen trotz allem, was sie erlitten haben, hoffnungsvoll in die Zukunft sehen und sich mit Elan und Freude ein neues Leben aufbauen. Den Sinn meiner therapeutischen Arbeit kann ich daher immer wieder sehen.

Aber es ist auch wesentlich, gut auf sich selbst zu achten. Bei allem, was ich tue, ist es wichtig, den Menschen Sicherheit zu geben. Und ich kann nur sichere Begegnungen und sichere Beziehungen anbieten, wenn ich selbst sicher bin. Daher meine Bitte an alle, die sich für Menschen in Not engagieren: Tun Sie sich selbst etwas Gutes, damit Sie, wo es erforderlich ist, gefestigt und sicher für andere da sein können.

Barbara Preitler: «An ihrer Seite sein»
Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen
Studien Verlag
4. Auflage 2017
ISBN-10: 3706555875
ISBN-13: 978-3706555876

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