Jede Generation tickt anders – und nun?

Die Soziologin Dr. Miriam Engelhardt plädiert für einen Generationenmix.

Durchhaltevermögen und Eigenverantwortung zeichnen die älteren Generationen aus. Sie arbeiten oft bis zum Umfallen. Jüngere achten auf die Work-Life-Balance und pfeifen auf Hierarchien. Und wie finden die Generationen nun zusammen? Die Soziologin Miriam Engelhardt* plädiert in ihrem Beitrag für einen Generationenmix und fördert gegenseitiges Verständnis: «So lernen wir auch uns selbst etwas besser kennen und erleichtern uns die Zusammenarbeit.»

Ein junger Mitarbeiter ruft morgens im Betrieb an: «Ich glaub, ich werde krank, ich komme heute nicht.» Wenn ein Babyboomer – die älteste Generation aktuell im Berufsleben – das hört, verschlägt es ihr oder ihm die Sprache. Liegt doch auf der Hand: Die Jugend ist faul, arbeitsscheu und verweichlicht. Babyboomer sind trainiert im Durchhaltevermögen. «Was mich nicht umbringt, macht mich stark», war oft genug die Devise. Bis heute kommen sie hoch loyal mit Fieber und dröhnenden Kopfschmerzen zur Arbeit. Aus Sicht der jungen Generationen Y und Z ist das fast schon kindisch: «Sie sind tagelang nicht richtig leistungsfähig, stecken das ganze Team an und sind noch stolz auf ihre Arbeitsmoral! Statt dass sie sich mal einen Tag auskurieren.»

Ähnlich ist es bei dem Thema «um Hilfe bitten» oder «Hilfe annehmen». Für die älteren Generationen hat es den Beigeschmack von Schwäche. «Durchbeissen», «durchhalten», «es alleine schaffen» sind häufige Werte. Diese Einstellung kann zu Überlastung führen und fördert die Teamarbeit nicht gerade. Die jüngeren Generationen dagegen haben schon in der Schule mehr im Team gearbeitet, und einander zu unterstützen, ist normal. Sie haben oft gute Netzwerke, in denen sie sich Unterstützung holen können, und bitten darum, wenn sie Hilfe brauchen.

Auch das Einspringen bei Personalmangel wird sehr verschieden gesehen. Die Babyboomer stellen oft genug ihr Privatleben zurück und übernehmen zusätzliche Dienste. Für die Generation X, die heute 35-55-Jährigen, ist es weniger die Unterordnung unter den Betrieb als die Eigenverantwortung. Das Ergebnis ist das gleiche: Sie springen ein, obwohl sie nicht möchten. Sie haben das Gefühl, jeder und jede müsse dazu beitragen, dass der Personalmangel ausgeglichen werden könne. Ganz anders die jüngere Generation Y und die erst in der Ausbildung stehende Generation Z. Sie sagen auch bei akutem Personalmangel Nein, wenn sie keine Zeit haben, denn sie sehen längst, dass Personalmangel eine immer wiederkehrende Normalität ist.

 

Die wichtigsten Punkte der Generationenunterschiede kurz zusammengefasst:

Die Babyboomer haben in der Kindheit noch viel Hierarchie und Autorität erlebt. Für Fehler wurden sie meist bestraft, und die Älteren oder Vorgesetzten hatten eindeutig das Sagen. Anerkennung gab es in der Kindheit allein durch Leistung, und die Moral war «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen». So sagen sie schnell mal Ja und übernehmen Aufgaben, obwohl sie darunter leiden. Diese Generation ist somit leider auch burnoutgefährdet.

Zur Generation X zählen die heute 35 bis 55-Jährigen. Sie haben eine besondere Stärke, die gleichzeitig zur Schwäche werden kann: die Eigenverantwortung. Gleichzeitig erwarten sie manchmal zu viel Eigenverantwortung von den anderen.

Die Generationen Y und Z unterscheiden sich vor allem in ihrem Verhältnis zu Autoritäten und ihrer Work-Life-Balance von den anderen Generationen. Sie sind ohne klassische strafende Hierarchie aufgewachsen, sondern mit verständnisorientierten Erziehungsstilen. Gleichzeitig haben sie die Erfahrung gemacht, dass sie in der IT-Technologie immer etwas besser waren als ihre Eltern und Lehrer. Damit gibt es für sie keine Hierarchie mehr. Sie setzen sich mit jedem auf Augenhöhe. Sie opfern auch das Privatleben nicht mehr für den Betrieb. Ein ganzheitlich gelungenes Leben ist ihnen wichtig.

Fazit: Der Generationenmix hat Potenzial: Jede Altersgruppe bringt ihre spezifischen Stärken ein, und die blinden Flecken der anderen Generationen werden ausgeglichen. Das ist unbedingt nötig, um komplexe Aufgaben zu bewältigen. In einer Umfrage unter 400 Teilnehmenden waren über 90 Prozent der Befragten für einen Generationenmix! Babyboomer schätzen zum Beispiel die frischere Ausbildung der Jüngeren und die lockere Atmosphäre. Die Jüngeren möchten nicht auf die Erfahrung der Älteren verzichten und finden, das bringe Ruhe ins Team. Es erleichtert den Arbeitsalltag, durch Generationenkompetenz zunehmend Verständnis und Neugier füreinander zu entwickeln. So wird es möglich, in konkreten Alltagssituationen spontan und lösungsfokussiert zu agieren.

Lesen Sie hier den ausführlichen Beitrag von Miriam Engelhardt.

 

* Dr. Miriam Engelhardt hat nach Studienaufenthalten in Paris und Poitiers in Freiburg im Breisgau in Soziologie promoviert und war unter anderem in der Jugendforschung tätig. 2008 wechselte sie von der Forschung in die Vermittlung und arbeitete in der Personal- und Organisationsentwicklung am Universitätsspital Basel mit Schwerpunkt Weiterbildung. 2012 gründete sie Engelhardt-Training: www.engelhardt-training.de. Heute arbeitet sie zusammen mit ihrer Schwester Nikola Engelhardt als Referentin, Kursleiterin und Moderatorin zu den Themen Generationenkompetenz, Leadership, Teamentwicklung, Moderation und Auftrittskompetenz.

Im Oktober 2019 erscheint von Miriam Engelhardt und Nikola Engelhardt im Hep-Verlag, Bern, das Buch «Wie tickst du? Wie ticke ich?» Es hilft, die Zusammenarbeit zwischen Menschen verschiedener Generationen zu verbessern.

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