Ich bin resilient – also bin ich stark
Interview mit Prof. Dr. Ulrike Ehlert.
Was ist Resilienz? Einfach Widerstandskraft gegenüber schwierigen Umständen? Wie lässt sie sich feststellen? Wie kultivieren? Prof. Dr. Ulrike Ehlert vom Psychologischen Institut der Universität Zürich hat darüber an der Freiwilligentagung vom 21. Juni gesprochen und gibt im Interview weitere Auskünfte.
Frau Ehlert, der Begriff der Resilienz ist in den fünfziger Jahren von Jack Block in die Psychologie eingeführt worden. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, die psychische Gesundheit selbst unter widrigen Umständen zu bewahren. In letzter Zeit scheinen die Medien das Thema der Resilienz immer häufiger aufzugreifen. Eine Modeerscheinung?
Ulrike Ehlert: Ja, Resilienz ist ein Begriff, der in gegenwärtig vermehrt thematisiert wird. Ich halte es nicht unbedingt für eine Modeerscheinung, sondern vielmehr für ein Zeichen des Umdenkens bezüglich der Fähigkeiten von Menschen. Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf menschliche Fehlanpassungen geht es nun vermehrt darum, zu schauen, welche Stärken Menschen haben oder entwickeln, um trotz unterschiedlichster Belastungen gesund zu bleiben.
Was kann ich persönlich tun, um resilient zu werden?
Ulrike Ehlert: Resilienz ist nichts anderes als ein erfolgreicher Umgang mit belastenden Situationen wie Misserfolgen, Unfällen, Notsituationen, traumatischen Erfahrungen oder Risikosituationen. Resiliente Menschen sind in der Lage, schwierige Umstände und die damit verbundenen Emotionen zu akzeptieren. Sie verfügen über eine erfolgreiche Stressbewältigungsstrategie – auch Coping genannt – und können einen wirksamen Abwehrmechanismus aktivieren.
Resilienz ist also ein anderes Wort für den erfolgreichen Umgang mit negativem Stress?
Ulrike Ehlert: Ja, absolut. Stress ist allerdings ein Modewort geworden. Jeder und jede ist „gestresst“ oder hat «Stress». In der Resilienz-Forschung hingegen ist Stress eine körperliche Reaktion auf ein spezifisches Ereignis, und diese Reaktion ist messbar: Das einschneidende Erlebnis setzt Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol frei. Der Körper reagiert in der Folge anders als in gewöhnlichen Situationen. In der Resilienz-Forschung geht es darum, solche Reaktionen zu messen und anschliessend auf Grund der Geschichte der Testperson zu eruieren, inwiefern sie resilient reagiert.
Um die Reaktionen des Körpers auf Stress genau und vergleichbar zu analysieren, müsste Stress im Labor ausgelöst werden können. Ist das möglich?
Ulrike Ehlert: Ja, das ist möglich. Wir verfügen über einen standardisierten Stresstest, den so genannten Trier Social Stress Test (TSST). Dabei müssen die Testpersonen – nach einer ganz kurzen Vorbereitung – eine achtminütige Rede halten. Sobald sie unsicher werden oder abschweifen, fordern die beobachtenden Personen roboterähnlich zum Weiterreden auf. Das setzt die Testpersonen unter Stress, sie produzieren messbar das Hormon Cortisol. Im Anschluss werden die Testpersonen gebeten, fünf Minuten lang zu rechnen. Bei jedem Fehler sagen die beobachtenden Personen mit unbewegter Miene «falsch», und die Testpersonen müssen die Rechnung wiederholen. Auch hier wird die Cortisol-Freisetzung gemessen.
Geht man davon aus, dass die Erfahrungen, die einzelne Menschen gemacht haben, einen Einfluss auf ihre Resilienz haben, so müssten sich, je nach Berufsgruppe, unterschiedliche Resultate ergeben.
Ulrike Ehlert: Genau so ist es. Wir haben an der Universität Zürich solche Untersuchungen durchgeführt. Als Berufsgruppen wählten wir Schweizer Bergführer, Mitarbeitende der Rega, die Feuerwehr von Wales, die Kantonspolizei St. Gallen und die Feuerwehr von Rheinland-Pfalz. Dabei waren die Bergführer am stressresistentesten. Wie widerstandsfähig eine Person ist, hat sehr viel mit ihrer Einstellung zu tun. Je stärker sie das Gefühl hat, etwas bewirken zu können, umso höher ist ihre Stressresistenz. Das erklärt vielleicht, weshalb Bergführer, die immer wieder Entscheide treffen müssen, um Risiken auszuweichen, stressresistenter sind als andere Berufsgruppen. Um solche Ergebnisse zu erhärten, müssen auch genetische Besonderheiten der untersuchten Personen berücksichtigt werden. Derartige Blutanalysen werden erst seit kurzem durchgeführt. Wir konnten noch nicht auf solche Messwerte zurückgreifen.
Gibt es weitere, für resiliente Menschen typische Merkmale?
Ulrike Ehlert: Resiliente Menschen versuchen, Belastungssituationen einen Sinn zu geben. Sie strukturieren die Ereignisse, suchen Erklärungen, haben Vertrauen, eine Situation zu bewältigen, und sind bereit, sich zu engagieren, die Herausforderung anzunehmen. In der Wissenschaft bezeichnen wir dieses Verhalten als Kohärenzsinn. Dieser Kohärenzsinn erklärt auch, warum Menschen Traumata als Folge von Naturereignissen wie Erdbeben oder Überflutungen besser bewältigen als etwa Traumata nach Amokläufen oder Tötungsdelikten: Sie sehen eher einen Sinn beziehungsweise können Naturereignisse eher hinnehmen als von Menschenhand verübte Verbrechen.
Sind Menschen mit positiver Grundeinstellung stressresistenter?
Ulrike Ehlert: Ja, durchaus. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass hedonistisch veranlagte, also genussorientierte Menschen grundsätzlich stressresistenter sind. Sie schütten im Stresstest – ebenso wie optimistische Personen – weniger Cortisol aus.
Zusammenfassend: Welches sind die wichtigsten Elemente, die die Stressverarbeitung beeinflussen?
Ulrike Ehlert: Aus meiner Sicht sind das, neben anderen, die wichtigsten Elemente:
- die Einschätzung der Situation und das Gefühl, darauf reagieren zu können
- die Erfahrungen aus vorangegangenen Belastungen und die daraus erlernten Abwehr- und Bewältigungsmechanismen
- Optimismus
- die hedonistische Emotionsregulation: Lust und Freude statt Schmerz und Leid
- der Kohärenzsinn: die Fähigkeit, ein Ereignis zu akzeptieren und als bewältigbar zu bewerten
Auch die soziale Unterstützung, die ein Mensch erfährt, hilft ihm, Stresssituationen erfolgreich zu bewältigen. Und nicht zuletzt kann er sich gesund ernähren, um Stress besser gewachsen zu sein. Indem sich der Mensch auf seine Stärken konzentriert und aus Erfahrungen lernt, tut er auf jeden Fall viel für seine seelische Gesundheit und Widerstandskraft.