Gefühle können ansteckend sein

Und doch braucht Betreuung Empathie.

Emotionen gehören zur Betreuung. Emotionale Beteiligung hilft, mit der betroffenen Person in Verbindung zu treten. Doch Gefühle können in der Betreuung auch zum Problem werden. An der Freiwilligentagung von Carelink haben die Teilnehmenden von Prof. Dr. Gernot Brauchle* Hilfsmittel für den Umgang mit eigenen Gefühlen erhalten.

Wer als Caregiver oder Notfallpsychologin betroffenen Menschen beistehen will, muss sich emotional beteiligen. Daraus entsteht Empathie, also die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in andere Menschen einzufühlen. Empathie macht Care, die Betreuung Betroffener, erst möglich.

 

Empathie lässt sich bewusst steuern

Für Helfende ist es wesentlich, das Werkzeug der emotionalen Beteiligung zu beherrschen. Sie müssen das Mass des Möglichen und des individuell für sie Machbaren kennen und sich der Folgen daraus gewahr sein, um es gezielt für die Betreuung von Betroffenen zu nutzen. Die eigene Empathie lässt sich bewusst steuern und einsetzen.

Die Stimmung einer Person, die zum Beispiel Angst oder Trauer empfindet, kann allerdings Besitz ergreifen von der sie betreuenden Person und ganz zu deren eigenem Gefühl werden. Dieses Phänomen der Gefühls- oder Affektansteckung – auf Englisch: Emotional Contagion – ist angeboren und lässt sich bereits bei Säuglingen und Kleinkindern beobachten: Weint ein Baby, bricht das Geschwister oft auch in Tränen aus.

 

Gefühlsansteckung passiert ungewollt

Gegen Gefühlsansteckung kann sich der Mensch nicht wehren. Deshalb empfindet er diese im Erwachsenenalter als Eindringen. Während Empathie nicht zwingend eine Identifikation mit der anderen Person erfordert, passiert bei der Gefühlsansteckung ungewollt und unbewusst genau das. Viele Helfende erleben sie deshalb als Kontrollverlust und fühlen sich hilflos. Das verursacht Ängste, und aus diesen Ängsten entstehen Fehler in der Betreuung. Ein Beispiel: Aus lauter Angst, Tränen könnten ihnen in die Augen steigen oder gar Weinkrämpfe könnten sie schütteln, verzichten Helfende auf die Betreuung von gewissen Personen, oder sie lehnen es ab, eine Todesnachricht zu überbringen. Dabei ist erwiesen, dass eine Gefühlsansteckung in der Regel keinen Weinkrampf hervorruft, sondern höchstens ein paar Tränen. Genau hier liegt der Unterschied: Die helfende Person ist nicht selber vom Ereignis betroffen, sondern nur von der betroffenen Person angesteckt.

 

Wissen um den Unterschied hilft

Dieses Wissen beruhigt die Helfenden. Für die Personen, die sie betreuen, bedeutet es, dass die Helfenden tatsächlich Empathie empfinden und sich in ihre Lage versetzen können. Das vermag Vertrauen zu schaffen. Darum ist es bei einer Gefühlsansteckung wichtig, sich den emotionalen Unterschied zwischen sich und der anderen Person vor Augen zu führen. Eine Gefühlsansteckung kann auch zum Thema im Betreuungsgespräch gemacht werden: Die betreuende Person darf ruhig zugeben, dass sie die Gefühle des betroffenen Menschen berühren.

Das Wissen um diese feinen Unterschiede führt zu einem kontrollierten Kontrollverlust: Die betreuende Person kann sich einlassen – ohne Angst, die Kontrolle total zu verlieren. Sie ist sich ihrer eigenen Handlungs- und Reaktionstendenzen bewusst, und das erlaubt ihr, zu agieren statt zu reagieren, und sie fühlt sich so lange verantwortlich, wie der Einsatz dauert.

 

* Prof. Dr. Gernot Brauchle ist Gesundheits- und Notfallpsychologe und leitet das Institut für Angewandte Psychologie an der UMIT Tirol, der privaten Universität für Gesundheitswissenschaften sowie medizinische Informatik und Technik.

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