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Ein offenes Ohr ist wichtiger als ein gutgemeinter Rat

Wie Carelink mit Betroffenen kommuniziert.

Da staunten der eine und die andere: Aha, so macht Carelink das! Die rund 150 Teilnehmenden der Carelink-Fachtagung 2018 wissen jetzt: Die Kommunikation mit Menschen, die ein einschneidendes Ereignis getroffen hat, folgt eigenen Regeln. Mischa Oesch hat sie menschlich direkt erklärt. Sie ist Fachpsychologin für Psychotherapie und als zertifizierte Notfallpsychologin oft auch für Carelink tätig.

Wenn Mischa Oesch an einem Ort des Geschehens eintrifft, sind die Blaulichtorganisationen in der Regel bereits weg. Jetzt beginnt Care, jetzt beginnt die psychosoziale Betreuung der Personen, die das einschneidende Ereignis erlebt haben oder die es betrifft.

Die Interventionen von Mischa Oesch und der weiteren Carelink-Fachleute richten sich stets nach den psychischen und physischen Bedürfnissen der Betroffenen. Manchmal hilft schon ein heisser Tee oder eine wärmende Decke etwas weiter. Die Betroffenen sollen sich jedenfalls aufgehoben und sicher fühlen. Die Fachleute werden ihnen allerdings nicht jede Arbeit abnehmen, ihnen nichts aufdrängen und auf keinen Fall den Takt vorgeben. Ihre Devise lautet: So viel Betreuung wie nötig, so wenig wie möglich. Und für diese Devise haben sie ihre guten Gründe.

 

Stabilisieren

«Unsere Arbeit hat nichts mit übertriebener Gefühligkeit zu tun», sagt Mischa Oesch: «Wir begegnen den Betroffenen empathisch und verständnisvoll, zerfliessen aber nicht in Mitleid.» Auch Hokuspokus ist nicht im Spiel: «Wir können Belastendes nicht wegzaubern. Wir therapieren auch nicht.» Die Notfallpsychologie setzt unmittelbar nach einem traumatisierenden Ereignis an. Sie zielt darauf ab, Betroffene psychisch zu stabilisieren, damit sie ihren weiteren Alltag eigenständig gestalten und bewältigen können. Wenn dann eine betroffene Person ein Ereignis langfristig nicht verarbeiten kann und psychisch erkrankt, macht eine psychotherapeutische Behandlung Sinn.

 

Anerkennen der Krise

Mischa Oesch: «Wenn eine betroffene Person erzählen will, hören wir aktiv zu und fassen zusammen. So befähigen wir sie, sich einen Überblick über das zu verschaffen, was ihr soeben widerfahren ist, und sie beginnt, das Erlebte für sich zu strukturieren. Doch wir fragen nicht aktiv nach Gefühlen, interpretieren die aus freien Stücken geäusserten Gefühle nicht, spekulieren nicht und vergleichen nicht mit eigenem Erlebtem.»

 

Fördern des Verstehens

In einem nächsten Schritt bestärken die Carelink-Fachleute die Betroffenen, ihre physischen und psychischen Reaktionen einzuordnen: «Was sie erlebt haben, übersteigt in der Regel ihre bisherigen Erfahrungen», weiss Mischa Oesch. «Wie sie seelisch und körperlich darauf reagieren, ist für sie persönlich möglicherweise ungewohnt, aber allgemein besehen normal.» Ein Flyer, den Carelink spezifisch für Betroffene und deren Angehörige konzipiert hat, gibt dazu weitere Informationen und Handlungsempfehlungen.

 

Ermutigen – und zur Eigenständigkeit zurückführen

Mischa Oesch warnt vor «aggressiver Hilfeleistung» und vor «direktiven Anweisungen»: Die geschulten Carelink-Fachleute stellen höchstens Fragen: «Was könnte Ihnen in der jetzigen Situation gut tun? Wer soll bei Ihnen sein?» Sie machen den Betroffenen Mut, die folgenden Tage zu planen und das Heft selber in die Hand zu nehmen, und sie ermuntern sie, das eigene soziale Netzwerk zu aktivieren. So wird es in der Regel möglich, sie behutsam zur Eigenständigkeit zurückzuführen.

Carelink ist, falls nötig, über die Akutphase hinaus für Betroffene da: Es kann vorkommen, dass sich Reaktionen verzögert bemerkbar machen und erst nach Tagen oder gar Wochen nach Stabilisierung, Einordnung und Bewältigung verlangen.

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