Bereit sein, wenn es darauf ankommt

Krisenbewältigung aus militärischer Sicht.

Im Unterricht Militärpsychologie an der Militärakademie der ETH Zürich befassen sich die Studierenden mit der Bewältigung von Krisen. Hubert Annen, Moritz Bertschmann und Josef Ochsner geben einen Überblick über die entsprechenden Projektarbeiten und eröffnen den Artikel mit einem Zitat von Wilhelm Busch: Stets findet Überraschung statt, da, wo mans nicht erwartet hat.

So trivial die Erkenntnis von Wilhelm Busch erscheinen mag, so entscheidend ist es insbesondere für Führungskräfte, diese Gegebenheit nicht einfach so hinzunehmen.

Krisen werden charakterisiert durch Unvorhersehbarkeit, sowohl bezüglich ihrer Eintretenswahrscheinlichkeit und ihres Verlaufs als auch bezüglich der kaum abschätzbaren Schadensfolgen. Indem man sich anhand möglichst realistischer Szenarien auf mögliche Krisenfälle vorbereitet, kann die Krise nicht verhindert werden. Hingegen lässt sich dadurch das von Wilhelm Busch angesprochene Überraschungsmoment einer solchen Situation mildern. Es gilt also, denkbare Krisen und deren Einzelereignisse zu antizipieren, um, davon ausgehend, die eigenen Ressourcen abzuschätzen und die zur Bewältigung notwendigen Entscheidungen und Handlungen zu definieren.

 

Krisen und deren Bewältigung

Im Rahmen des Studiengangs Berufsoffizier an der Militärakademie der ETH Zürich haben sich deshalb angehende Berufsoffiziere im Fach Militärpsychologie mit dem Management von Krisen und schwer wiegenden Zwischenfällen in ihrem Verantwortungsbereich befasst. Ausgehend von einer offenen Fragestellung, sollten sie Szenarien möglicher Krisen aus dem zukünftigen Berufsalltag skizzieren und konkrete Massnahmen zu deren Bewältigung erarbeiten.

Im vorliegenden Beitrag legen wir einzelne Ergebnisse und Erkenntnisse dieser Projektarbeiten dar. Diese geben einerseits eine Idee davon, mit welchen kritischen Situationen wir in der militärischen Ausbildung und allenfalls im Einsatz rechnen. Andererseits können sowohl zivile als auch militärische Führungskräfte daraus Lösungsansätze für den Umgang mit Krisenereignissen ableiten.

 

Umgang mit Stress lernen

Wo ein gutes Arbeitsklima und ein Zusammengehörigkeitsgefühl herrschen und die Mitarbeiter auch Sorge zu sich selber tragen, sind gute Voraussetzungen zur erfolgreichen Meisterung einer Krise gegeben. Wie wichtig die Vorbereitung der wichtigsten Ressource eines Unternehmens – des Menschen – auf aussergewöhnliche Ereignisse ist, wurde durchaus erkannt. So widmeten sich diverse Arbeiten der Thematik, wie durch Information und Schulung zu «Umgang mit Stress» die Mitarbeiter auf ihr Verhalten in Krisensituationen hin sensibilisiert werden können und wie die Stressresistenz generell durch eine gesunde Lebensweise, Entspannungstechniken und zielgerichtete Ausbildung erhöht werden kann.

Stellvertretend für die Eigenständigkeit der entwickelten Lösungsansätze sei an dieser Stelle die individuelle «Erste-Hilfe-Box» für Führungskräfte erwähnt: Bilder vom letzten Urlaub, die CD mit der Lieblingsmusik, Kartenausschnitte von Joggingstrecken und weitere persönliche Hilfsmittel tragen dazu bei, in Stresssituationen die nötige Ablenkung und Distanz zu gewinnen, um dann klare und zielgerichtete Entscheidungen treffen zu können.

 

Checklisten erstellen

Orientierten sich die Arbeiten an Szenarien der Akutphase einer Krise, so konnte eine klare Tendenz hin zu Checklisten festgestellt werden. Krisen erschweren bekanntlich ein strukturiertes Handeln und Führen. Checklisten nehmen grundlegende Entscheidungen und Vorgehensweisen vorweg und helfen, möglichst bald wieder Struktur und somit Sicherheit herzustellen. Dadurch hat die Führungsperson den Kopf frei, um auf die Dynamik der jeweiligen Situation reagieren zu können. Des Weiteren minimieren Checklisten das Risiko, in der Hektik wichtige Dinge zu vergessen.

Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich ein Berufsoffiziersanwärter mit der Auflistung und Beschreibung möglicher Szenarien wie beispielsweise Schiess- und Verkehrsunfälle, die sich im militärischen Rahmen leider immer wieder ereignen. Je nach Art des Unfalls und der darin involvierten Personen hat er entsprechende Handlungsanweisungen für den Kommandanten formuliert.

 

Psychologische Aufarbeitung der Krise

Schliesslich wurde in zwei Projekten auch die Nachphase einer Krise aufgegriffen. Es zeigte sich jedoch, dass gerade in dieser Phase professionelle psychologische Hilfe unumgänglich ist. Werden die Unterstellten stark traumatisiert und spüren die psychischen Folgen eines schwer wiegenden Ereignisses auch noch Wochen oder Monate danach, sind Führungskräfte überfordert.

Dennoch oder erst recht verwies eine Projektarbeit auf die Wichtigkeit, die Nachphase vorzubereiten und Kontakte zu professionellen Helfern und deren Eingliederung in den Bewältigungsprozess frühzeitig zu definieren. Eine andere Projektarbeit hatte den Mitarbeiter im Fokus und formulierte eine Pocket-Card mit Handlungsanweisungen zur persönlichen Nachbearbeitung einer Krise, um die Widerstandskraft des Mitarbeiters zu erhöhen und dessen Wiedereingliederung zu vereinfachen.

 

Eigene Ressourcen nutzen

Insgesamt gelangten die Berufsoffiziersanwärter zur Einsicht, dass eigene Ressourcen sowie kleine Hilfsmittel ausreichen können, um eine Krise zu meistern. Durch das Denken in Szenarien wird das Überraschungsmoment entschärft und ein strukturiertes Handeln und Führen in Krisen begünstigt.

Als ebenso wichtig wurde der Einbezug sämtlicher Hierarchiestufen in den Bewältigungsprozess beurteilt. Die Armee, aber auch viele zivile Firmen und Organisationen kennen Alarmierungsprozesse, Evakuierungspläne, Krisenstäbe etc. Bei deren Durchsicht gelangten die Studenten indes zur Erkenntnis, dass gerade der Mensch als eigentlicher «Bewältiger» der Krise in diesen Plänen zu wenig berücksichtigt wird. Mit Information und Schulung der Mitarbeitenden hinsichtlich des Umgangs mit Stress im Allgemeinen und in herausfordernden oder gefährlichen Situationen im Speziellen kann bereits ein positiver Effekt erzielt werden.

Schliesslich wurden die Studenten gewahr, dass in der Nachphase einer Krise oft professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Der Vorgesetzte bleibt mit der Führung betraut, fachliche Unterstützung und therapeutische Massnahmen gehören jedoch in die Hände von Spezialisten.

Das gegenseitige Vorstellen der Projektarbeiten sowie die Diskussion der diversen Lösungswege hätten Wilhelm Busch schliesslich wohl zur Anpassung seines Reims bewegt: Es findet keine Überraschung statt, da, wo mans halt erwartet hat.

 

Zu den Autoren:

  • Hubert Annen,
    Dr. phil., Psychologe, Dozent für Militärpsychologie und Militärpädagogik an der Militärakademie / ETHZ
  • Moritz Bertschmann,
    Oberleutnant, Berufsoffiziersanwärter, Kommandant ad interim Artillerie Batterie 54/1
  • Josef Ochsner,
    Hauptmann, Berufsoffiziersanwärter, Führungsgehilfe Betriebsdetachement Logistikbrigade 1