Vorfälle sollten nicht bagatellisiert werden.
Johanna Gerngroß über psychologisches Krisenmanagement.

Eine Ausflucht gibt es nicht: Stösst einer oder mehreren Personen in einem Unternehmen Schweres zu, kommt psychologisches Krisenmanagement ins Spiel. Dr. Johanna Gerngroß* hat an der Carelink-Fachtagung aufgezeigt, was es braucht, damit einem Unternehmen die Krisenintervention gelingt.

Sie hat sachliche Gründe: Eine Bankangestellte kann den Wunsch eines Kunden beim besten Willen nicht erfüllen. Der Kunde wird wütend und beginnt zu drohen: «Ich weiss, wo deine Tochter zur Schule geht!» Die Frau meldet den Vorfall, doch von der Bank erhält sie keine psychologische Hilfe. Nach kurzer Zeit kann sie nicht mehr arbeiten und meldet sich krank.

Personen, die bedrohliche Situationen durchgemacht haben, erleben eine grosse Diskrepanz zu den eigenen Möglichkeiten, diese zu bewältigen: So definiert die Fachwelt ein Psychotrauma, und Johanna Gerngroß zitiert Betroffene: Sie seien wie gelähmt, beschreiben diese oft ihren Zustand. Weitere Symptome sind das Gefühl von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe. Johanna Gerngroß: «Das kann sowohl das Selbst- als auch das Weltverständnis dauerhaft erschüttern.»

Hier setzt das psychologische Krisenmanagement ein, und zwar auf individueller Ebene wie auf Ebene der Organisation. Je nach Ereignis müssen auch Führungskräfte psychologisch unterstützt werden.

Anerkennen statt abwehren

Gut, wenn sich eine traumatisierte Person relativ schnell gegenüber vertrauten Menschen öffnen kann. Auch die Fähigkeit, sich eigenständig Unterstützung zu holen, ist essenziell. Ebenso hilft ein Umfeld, das eine Verarbeitung zulässt und die individuelle Bewältigung fördert.

«Ob und wie Vorgesetzte, aber auch Kolleginnen und Kollegen nach dem Ereignis auf die betreffende Person zugehen, ist deshalb wichtig», so Johanna Gerngroß. «Anzuerkennen, was die betreffende Person erlebt hat, kann bereits heilsam sein.»

Stattdessen, sagt sie, beobachte sie nicht selten Abwehrreaktionen: «Der Vorfall wird bagatellisiert, das Opfer beschuldigt, oder es wird ihm Verletzlichkeit oder gar Überforderung nachgesagt.» Dabei wäre es doch das übergeordnete Ziel, dass sich die traumatisierte Person möglichst schnell und dauerhaft erholt, damit sie zur Arbeit zurückkehren kann.

Klare Kommunikation ist wichtig

Auf individueller Ebene plädiert Johanna Gerngroß für aufsuchende Betreuung und Beratung: Notfallpsychologische Interventionen unterstützen und fördern den Erholungsprozess, psychosoziale Begleitung hilft bei der Rückkehr in den Arbeitsprozess.

Auf Ebene der Organisation sieht Johanna Gerngroß die Aufgaben im Entlasten und Stabilisieren der betroffenen Person oder Personengruppe. Auch indirekt involvierte Personen können sich durch einen Vorfall beeinträchtigt fühlen. Johanna Gerngroß weist überdies auf das Coaching von Führungskräften hin – und auf das Eindämmen von Gerüchten und Schuldzuweisungen durch eine klare interne und externe Kommunikation.

Stichwort Führungspersonen: Während diese allenfalls selber unter Schock stehen, also selber betroffen sind, sollten sie sich, scheinbar stark, hinstellen und meist noch unter Zeitdruck Entscheidungen treffen. Hier kann externe Unterstützung zwar nicht Wunder wirken, aber den Weg weisen und Entlastung bringen.

 

* Dr. Johanna Gerngroß ist Universitätslektorin an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien und an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Sie hat das Krisenmanagement der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) geleitet und ist Geschäftsführerin des «Commitment Institut», das unter anderem Krisenmanagement und psychologisches Coaching anbietet. Zudem erbringt Johanna Gerngroß den fachlichen Hintergrunddienst der Einsatzkräfte-Nachsorge im Landes-Feuerwehrverband Tirol.

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