«Verbitterung kann zur Störung werden.»

Prof. Dr. Hansjörg Znoj an der Psychologie-Weiterbildung von Carelink.

Jeder Mensch erlebt Kränkungen. Mag sein, dass gerade darum die Verbitterung, die daraus erwachsen kann, noch wenig untersucht ist. Prof. Dr. Hansjörg Znoj, Ausserordentlicher Professor an der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern, hat dazu geforscht: «Verbitterung kann zur Störung werden.» An der Carelink-Weiterbildung für Psychologinnen und Psychologen hat er auch darüber gesprochen, wie eine Verbitterungsstörung behandelt werden kann.

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist schon länger bekannt: Ein äusserst schmerzliches Erlebnis löst psychische Probleme aus. Vor zehn Jahren nun hat der Berliner Psychiatrieprofessor Michael Linden erstmals die posttraumatische Verbitterungsstörung beschrieben. Deren Abkürzung PTED steht für «Posttraumatic Embitterment Disorder». Herr Znoj, was ist unter einer chronischen Verbitterungsstörung genau zu verstehen?

Prof. Dr. Hansjörg Znoj: Aus einer persönlichen und ungerecht empfundenen Leidensgeschichte kann, als seelisches Produkt, Verbitterung entstehen. Wenn zum Beispiel ein Mann den Job verliert, der ihm alles bedeutet hat, oder wenn eine Frau, die sich für die Familie aufgeopfert hat, vom Mann verlassen wird, kann das, weil es als ungerecht und kränkend empfunden wird, zu Verbitterung führen.

 

Wie äussert sich Verbitterung?

Prof. Dr. Hansjörg Znoj: Verbitterung verschafft sich Raum einerseits durch Hoffnungslosigkeit, Wut und Aggressivität, andererseits durch die Zuweisung der Ursache an andere Personen oder Umstände. Die persönliche Not wird also, anders als bei einer Depression, nicht auf das eigene Ungenügen zurückgeführt.

 

Michael Linden soll einmal gesagt haben, wenn er wählen müsste zwischen Depression und Verbitterung, würde er sich für die Depression entscheiden. Verbitterung sei ein ungleich härteres Schicksal. Tatsächlich so schlimm?

Prof. Dr. Hansjörg Znoj: Aus Enttäuschung können Suizidgedanken wachsen, Hass kann zu Menschenverachtung werden. Auch eine rigide moralische Haltung und Vergeltungswünsche können sich heranbilden. Politischer Terrorismus, um das wohl krasseste Beispiel zu nennen, entsteht aus bitteren Herzen und führt zu Hass und Extremismus. Rache kann als Therapie empfunden werden!

 

Andererseits erlebt doch jeder Mensch in seinem Leben seelische Verletzungen. Entsprechend viele dürften, ohne es so zu benennen, an einer Verbitterungsstörung leiden. Einzelne Quellen gehen von zwei bis drei Prozent der Bevölkerung aus. Ein weit verbreitetes, bisher unerkanntes Krankheitsbild?

Prof. Dr. Hansjörg Znoj: Wir haben an der Universität Bern geforscht und als diagnostisches Instrument das so genannte Berner Verbitterungsinventar, kurz BVI oder BEI für Bern Embitterment Inventory, entwickelt. Aus einer ersten statistischen Analyse haben wir vier Verbitterungsdimensionen herausgeschält: die leistungsbezogene, die emotionale, Pessimismus/Hoffnungslosigkeit und Menschenverachtung.

Verbitterung ist also vermutlich kein eindimensionales Konstrukt, sondern gleicht vielmehr einem «State of Mind», also einem charakteristischen und möglicherweise andauernden Zustand, der geprägt ist von äusserst starken Emotionen und Kognitionen, die um ein extrem verletzendes, kränkendes Ereignis kreisen. Man müsste hier von einem Zustand sprechen, der wie die klassische Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) geprägt ist von intrusiven Gedanken und Bildern sowie durch ein fortwährendes Ruminieren, also durch ein endloses gedankliches «Wiederkäuen». Im Gegensatz zur PTBS ist das Erleben aber nicht von Angst und Terror geprägt, sondern durchsetzt von Ärger und Enttäuschung durch mächtige andere. Auslöser dafür sind keine plötzlichen Ereignisse, sondern es ist die Erfahrung, hintergangen worden zu sein, also zum Beispiel trotz äusserster Anstrengung im Beruf die Erfahrung zu machen, dass jemand, der weniger qualifiziert ist, vorgezogen und befördert wird und man selbst um den Arbeitsplatz fürchten muss. Es sind oft Alltagserfahrungen wie diese, die aber durchaus als extrem bedrohlich empfunden werden können.

Mit dem BVI sind diese Zustände messbar geworden. Damit werden wissenschaftliche Untersuchungen möglich, welche die Befindlichkeit nach solchen Erfahrungen verdeutlichen. Dies ist besonders wichtig, weil wir wissen, dass solche Erfahrungen prägen und damit ein Leben in mancher Hinsicht beeinträchtigen können.

 

Wie lässt sich eine posttraumatische Verbitterungsstörung therapieren bzw. heilen?

Prof. Dr. Hansjörg Znoj: Wer durch ein externes Ereignis verbittert und belastet ist, sucht die Wiedergutmachung, die Kompensation, die Genugtuung, um sich zu erleichtern. Dass ein posttraumatisch verbitterter Mensch von sich aus eine Therapie anfängt, ist deshalb eher selten. Es ist ja nicht er, der das eigene Elend verursacht hat.

Mögliche Therapiekonzepte lehnen sich stark an die psychologische Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung an. Michael Linden zum Beispiel nennt seine Methode die Weisheitstherapie. Sie löst einen Reifungsprozess aus. In dessen Verlauf lernt die betroffene Person in Rollenspielen die Motivation der anderen, verursachenden Seite kennen, sie lernt auch, Unlösbares zu akzeptieren und zu verzeihen. Eine Therapie kann aber nur lindern, wenn die betroffene Person stark unter ihrer Verbitterung leidet.