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Tausend Mann und ein Befehl

Klemens Reindl und Heiner Brunner über die wohl schwierigste Rettungsaktion ihres Lebens.

Was ist von einem Notruf zu halten, der 13 Stunden nach einem Unglück eintrifft? Das fragten sich Klemens Reindl und Heiner Brunner auch – damals, am Pfingstsonntag 2014. Elf Tage und zehn Stunden später war der Höhlenforscher Johann Westhauser aus der Riesending-Höhle, der tiefsten und längsten Höhle Deutschlands, gerettet. Sein Kollege, der den Alarm auslöste, hatte für Auf- und Ausstieg 13 Stunden gebraucht. Und Klemens Reindl und Heiner Brunner von der Bergwacht Bayern brauchten Höhlenretter aus fünf Nationen, um Johann Westhauser herauszuholen. An der Carelink-Fachtagung gaben sie ihre Erfahrungen weiter.

Die Lage schien schier aussichtslos. Ein Mensch mit schwerer, lebensbedrohender Hirnblutung, nachdem ihn ein herabfallender Felsbrocken am Helm getroffen hatte. Eine Höhle fast dreimal so tief wie der Berliner Fernsehturm hoch. Kommunikation mit dem Unfallort unmöglich – vorerst zumindest. Was Klemens Reindl und Heiner Brunner an der Carelink-Fachtagung zu berichten hatten, war zuerst beklemmend, dann eindrücklich. Ihre Rettungsaktion, an der mehr als 20 Organisationen und rund 1000 Personen beteiligt waren, ist bereits in die Geschichte der alpinen Rettung eingegangen. Hier ihre fünf wichtigsten Punkte, beispielhaft für jeden mehr oder weniger komplexen Einsatz.

 

Jetzt nur nichts überstürzen. Was macht ein Retter, wenn es um Leben und Tod geht? Er rennt los. Klemens Reindl und Heiner Brunner haben das verhindert – «ein grosses Stück Arbeit», sagen sie. Die Steinschlaggefahr musste zuerst eingedämmt und ein Arzt gefunden werden, der sich in die Höhle wagte. Dort ist es finster und feucht, zudem laut, weil unablässig irgendwo Wasser rauscht. Die Gänge sind steil bis senkrecht, stellenweise eng. Das fordert physisch und psychisch extrem heraus. Erst am fünften Tag nach dem Unglück konnte ein Arzt zum Patienten gelangen. Für dessen Transport, 1000 Höhenmeter nach oben, wurde gar ein Wasserfall umgeleitet.

 

Stimmungen spüren – und Befehle erteilen. Unterschiedlicher hätten die Mentalitäten kaum sein können: 116 Höhlenretter aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und Kroatien, alle vom eigenen Know-how überzeugt, und weitere rund 900 Rettungs- und Unterstützungskräfte waren an der Aktion beteiligt. Klemens Reindl und Heiner Brunner lösten Verständigungsprobleme, indem sie einen Kollegen aus dem Südtirol beizogen. Er übersetzte und vermittelte, gemeinsam mit ihnen, auch menschlich und mentalitätsmässig. Zugleich war für alle klar, wer den Einsatz leitete. Klemens Reindl und Heiner Brunner schufen für ihre Führungsaufgabe auch ganz klare Strukturen.

 

Grenzen erkennen. Wer hilft und rettet, kann sich im Eifer selbst vergessen und sich bis zur Erschöpfung ausbeuten. Jeden Tag waren bis zu 80 Personen mit Rettungsarbeiten in der Höhle beschäftigt. Sie mussten nicht nur mit Essen und mit Material versorgt werden. Wer wann einstieg, wurde auch genau registriert, damit niemand zu lange unter Tage blieb und jeder genügend Kräfte für den Auf- und Ausstieg hatte.

 

Die Medien gehören dazu. Die Rettung des verunfallten Höhlenforschers Johann Westhauser zog die Medien in Scharen an. Rund fünfzig Kamerateams zählten Klemens Reindl, Heiner Brunner und der Medienverantwortliche der Bergwacht Bayern. «Es war ein Kommen und Gehen – übrigens auch der Politprominenz.» Drei improvisierte Medienkonferenzen pro Tag hielten sie ab. Die offensive Medienarbeit bewährte sich, und die akkreditierten Medienleute konnten auf Informationen zählen.

 

Aber die Medien gelangen nicht überall hin. Die Feuerwehr Berchtesgaden stellte dem Krisenstab ihr Gebäude zur Verfügung und riegelte den Aussenbereich mit Fahrzeugen ab. Die Höhlenretter konnten sich in der ebenfalls abgeschirmten Kaserne der Bundeswehr erholen. An einer Pressewand hingen die Zeitungsberichte. So erfuhren sie, wie sie und ihre Rettungsaktion zu Hause und in aller Welt aufgenommen wurden. Die Partner, die mit dem verunfallten Johann Westhauser in der Höhle gewesen waren, und die Angehörigen, die angereist waren, konnten sich in eine Ferienwohnung zurückziehen. Die Adresse kannten nur sie und die Einsatzleiter.

Grosses Aufatmen nach nahezu zwölf Tagen: Johann Westhauser wurde mit dem Helikopter in die Unfallklinik Murnau geflogen. Die Retter fielen sich in die Arme. Johann Westhauser hat sich von seinem Schädel-Hirn-Trauma erholt.

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