Suizid am Arbeitsplatz

Nicht auf alle Fragen gibt es Antworten.

Der Suizid eines nahe stehenden Menschen löst Trauer, manchmal Wut aus und wirft oft quälende Fragen auf. Die zertifizierte Notfallpsychologin Christiane Dubuis* arbeitet auch für Carelink und deren Kunden. Sie zeigt auf, wie ein Unternehmen mit dem Suizid eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin umgehen sollte und wie sich immerhin ein Teil der Fragen beantworten lässt.

Die Wirtschaftskrise hat uns weltumspannend erfasst. Eine Hiobsbotschaft jagt die andere. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, werden in den finanziellen Ruin getrieben, sehen keinen Ausweg mehr und nehmen sich das Leben. Dies ist nur eines von vielen Szenarien, die zum Suizid führen können. Freiwillig aus dem Leben zu scheiden und so allen Belastungen ein Ende zu setzen, erscheint manchen Menschen in Krisen als realistischer Ausweg. Suizid wird dabei als endgültige Lösung für ein zumeist vorübergehendes Problem gesehen. Die Gründe können in einem momentan überwältigenden Gefühl der Bedrohung und Hilflosigkeit liegen, in intensiven Schuldgefühlen oder in einer allgemeinen Übererregung nach einem Notfall.

 

Betroffene entwickeln Schuldgefühle

Es ist passiert – ein Mensch aus unserem Arbeitsumfeld hat sich das Leben genommen. Dies löst bei den Hinterbliebenen jeweils tiefe Betroffenheit aus, sowohl bei Familienangehörigen als auch bei Freunden, Arbeitskollegen und Vorgesetzten. Man ist schockiert, kann es nicht wahrhaben und fühlt sich hilflos, manchmal auch wütend. Fragen tauchen auf: Warum hat er oder sie das getan? Was hat ihn oder sie in den Tod getrieben? Fast jeder und jede Betroffene entwickelt Schuldgefühle: Habe ich etwas getan, das den Suizid herbeigeführt hat? Hätte ich ihn gar verhindern können? Viele Fragen bleiben unbeantwortet, und das kann das Trauern um den verstorbenen Mensch und das Verarbeiten des Suizids erschweren.

 

Vorgesetzte sind speziell gefordert

Nimmt sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin das Leben, so sind die Vorgesetzten speziell gefordert. Einerseits sind sie auch Betroffene, andererseits haben sie die Aufgabe, sowohl mit der Familie der verstorbenen Person in Kontakt zu treten als auch sich um die Mitarbeitenden aus dem Umfeld der verstorbenen Person zu kümmern. Hilfreich ist, wenn die vorgesetzte Person dabei von der Unternehmensleitung und von der Personalabteilung unterstützt wird. Unternehmen, die Kunde bei Carelink sind, können sich in diesem Fall auf gezielte, professionelle Hilfe verlassen: Carelink bietet ihnen psychologische Unterstützung, damit die Verantwortlichen menschlich schwierige Situationen meistern können.

 

Mitarbeitende brauchen Unterstützung

Alle Mitarbeitenden aus dem engeren Arbeitsumfeld sollten wenn möglich gleichzeitig und gemeinsam die gleiche Information erhalten. Im Zentrum steht dabei die Frage, was geschehen ist, aber nicht unbedingt die Frage, wie es geschehen ist. Voraussetzung für eine solche Informationsveranstaltung ist eine zuvor erarbeitete Sprachregelung, die festhält, was über die Umstände des Suizids kommuniziert werden soll. Um Gerüchten nicht Vorschub zu leisten, ist es sinnvoll, so transparent wie nötig über die Umstände zu informieren. Personen- und Datenschutz sind dabei unbedingt zu beachten. Ziel einer solchen Veranstaltung ist, den Mitarbeitenden Raum für ihre Betroffenheit zu geben, sie von möglichen Schuldgefühlen zu entlasten und Schuldzuweisungen zu unterbinden. Auch Antworten auf organisatorische Fragen sind gewünscht: Wann findet die Trauerfeier statt? Wer führt, in Stellvertretung der verstorbenen Person, deren Arbeiten weiter? Wenn sich der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin am Arbeitsplatz das Leben genommen hat und von Kollegen oder Kolleginnen gefunden worden ist, brauchen diese eventuell individuelle oder gar Einzelbetreuung. Häufig entsteht aus den Reihen der Mitarbeitenden auch der Wunsch, mit einem Ritual, zum Beispiel mit dem Anzünden einer Kerze, der verstorbenen Person zu gedenken oder gemeinsam an der Trauerfeier teilzunehmen, so dies den Angehörigen genehm ist.

 

Lässt sich ein Suizid verhindern?

Viele Betroffene quält im Nachhinein eine Frage: Hätte ich merken sollen, dass er sich das Leben nehmen will? Diese persönliche Frage führt zu einer allgemeineren: Gibt es Möglichkeiten, einen Suizid zu verhindern? Lässt sich überhaupt frühzeitig erkennen, ob jemand suizidal ist? Selbst Fachleute tun sich mit der Früherkennung schwer. Im Nachhinein liegen die Puzzlesteine, die zu einem Suizid führen, meist viel offensichtlicher da.

Suizidalität kann sich in verschiedener Weise äussern. Der Satz «Wer darüber spricht, tuts nicht» ist ein Mythos. Der sicherste Hinweis für Suizidgefährdung sind direkte oder indirekte Suizidgedanken sowie entsprechende Vorbereitungen, Ankündigungen und Handlungen. Zu den Risikogruppen zählen ältere und vereinsamte Menschen, Depressive, Menschen mit Suchterkrankungen und Menschen mit Suizidversuchen in der Vorgeschichte. Zu den Risikomerkmalen gehören akute, krisenhafte Ereignisse wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes, Schulden, Scheidung, Verlusterlebnisse oder Traumatisierung, aber auch eine ausgeprägte Kränkbarkeit, eine suizidale Entwicklung, die vom Erwägen eines Suizids bis zum Entschluss reicht, und eine Einengung auf den suizidalen Gedanken.

 

Ein Wort kann entlasten

Mit einem weiteren Mythos muss aufgeräumt werden: dass Menschen Suizid begehen, wenn man sie danach fragt. Vielmehr verhält es sich umgekehrt, nämlich dass sie sich eher das Leben nehmen, wenn sie nicht danach gefragt werden. Wenn ein Familienmitglied, eine Kollegin oder ein Vorgesetzter den Verdacht hat, dass jemand suizidale Absichten hat, soll er oder sie die betreffende Person darauf ansprechen. Suizidale Menschen erleben das Angesprochenwerden häufig als entlastend.

Wenn sich aufgrund des Gesprächs und der Beobachtungen ein Suizidverdacht erhärtet oder bestätigt, sind rasch geeignete Massnahmen zu ergreifen. Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung ist die Aufnahme in stationäre Behandlung üblicherweise das Mittel der Wahl.

 

* Christiane Dubuis ist Fachpsychologin für Psychotherapie FSP und zertifiziert in Notfallpsychologie. Für die Schweizerischen Bundesbahnen betreut sie Mitarbeitende, die eine traumatisierende Situation erlebt haben. Zuvor hat sie mehr als zehn Jahre in verschiedenen psychiatrischen Institutionen gearbeitet und auch an einem Forschungsprojekt zum Thema Suizid mitgewirkt. Seit 2004 ist Christiane Dubuis als Notfallpsychologin Mitglied des Freiwilligenkorps von Carelink.

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