Schutz und Selbstschutz auf allen Ebenen

Im Einklang mit unseren Werten und unserer Haltung haben wir für unsere Kundinnen und Kunden sowie für unsere Careteam-Mitglieder «Schutzkriterien» festgelegt.

Das «Würde-Konzept» des Psychologen und Politikwissenschaftlers Stephan Marks nennt vier entscheidende Faktoren für ein zufriedenes Leben in Würde: Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität. Diese Faktoren sind unverzichtbar für das Funktionieren einer gemeinschaftlichen Beziehung, sei es im Vorfeld, während oder nach einem Einsatz.

 

Quellen:
Marks Stephan: «Die Würde des Menschen ist verletzlich» und «Scham, die tabuisierte Emotion».

 

Das Grundbedürfnis nach Anerkennung
Menschen brauchen Anerkennung, um zu gedeihen – ähnlich wie Pflanzen Licht benötigen. Anerkennung in der Krisenintervention bedeutet: Ich nehme wahr, dass etwas Schlimmes passiert ist.

Vor dem Einsatz werten wir das Wissen und die Erfahrungen unserer Teammitglieder in Schulungen und Übungen auf. Während des Einsatzes ist es wichtig, den Betroffenen Anerkennung für die Schwere des Ereignisses zu geben und ihre Reaktionen zu respektieren. Unsere Haltung dabei ist, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, Krisen zu überstehen und schwere Schicksalsschläge zu verarbeiten. Im Nachhinein werden Einsätze auf Teamebene durch verschiedene Methoden anerkannt, um die Qualität und Entwicklung zu fördern. Dies kann in der Form von Einsatznachgesprächen, Fallbesprechungen oder Supervisionen geschehen.

Auf der Unternehmensebene könnte die Haltung «Wir sind in einer ‹nicht normalen› Situation, und wir als Arbeitgebende sind für euch da» ein Signal in die angezeigte Richtung senden.

Das Grundbedürfnis nach Schutz
Wenn schützende körperliche oder seelische Grenzen verletzt wurden, können Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Scham entstehen.

Wir schulen den Umgang mit Nähe und Distanz, um unsere persönlichen Grenzen zu wahren und die unserer Schutzbefohlenen wahrzunehmen. Die vorbereitenden Seminare stehen hauptsächlich im Kontext der Beantwortung folgender Fragen: Wie nahe darf ich einer Person körperlich kommen, wie verhält es sich bei Kindern und wie schütze ich mich oder die Betroffenen im Falle einer physischen Grenzüberschreitung? Die Freiwilligkeit der Einsätze dient zudem dem Schutz der einzelnen Teammitglieder. Ich muss als Caregiver nicht in den Einsatz, wenn ich gerade selbst belastet bin. Und ich muss als Notfallpsychologin oder Notfallpsychologe nicht in den Einsatz, wenn eine Nähe zur eigenen Biografie besteht, zum Beispiel wenn meine Kinder gleich alt sind wie die Betroffenen.

Während und nach dem Einsatz werden sowohl psychische als auch physische Schutzräume bereitgestellt, um die Sicherheit der Beteiligten auf unterschiedlichen Ebenen zu gewährleisten. Zum Beispiel werden Orte für Entlastungsgespräche organisiert, die nicht exponiert sind. Bei öffentlichkeitswirksamen Geschehnissen schützen wir die Betroffenen und unser Team vor neugierigen Blicken durch Passanten und Presse. Es besteht zudem selbstverständlich strengste Schweigepflicht. Auch Auftraggeber dürfen nicht über den Inhalt persönlicher Gespräche informiert werden.

Vorgesetzte und HR-Verantwortliche sind nach einem ausserordentlichen Ereignis besonders gefordert. Wer im Team braucht jetzt besonderen Schutz? Wie gehen wir mit heiklen Themen um? Wie schaffen wir trauerfreie Räume und Zeiten? Diese Fragen zu stellen und entsprechende Massnahmen zu ergreifen bzw. sich entsprechende fachliche Hilfe zu holen, zeichnet gelingendes Krisenmanagement aus und lohnt sich auch mittel- und langfristig.

Das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit
Einen Menschen in seiner Würde zu unterstützen, bedeutet, ihm Zugehörigkeit zu vermitteln.

Dem Wunsch nach Zugehörigkeit scheint die Arbeit in einem Careteam entgegenzukommen. Gemäss unserer letztjährigen Careteam-Umfrage fühlen sich die Mitglieder als Teil eines Netzwerkes, das ihre Normen und Werte teilt, und die geleistete Arbeit trägt zur eigenen Sinnstiftung bei.

Während der Hilfeleistungen sollten Betroffene von uns angehalten werden, so bald als möglich Kontakt zu ihren Hauptbezugspersonen herzustellen. Das ist umso wichtiger, je jünger die Betroffenen sind! Wir wissen, dass sich Menschen durch das besondere Erleben in einer Katastrophe sehr isoliert fühlen können. Dasein und aushalten hilft und vermittelt die zentrale Botschaft: «Du bist nicht allein!».

Nach dem Ereignis können Unternehmen und Arbeitskolleginnen und -kollegen dabei helfen, dass das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit weder in personaler noch in struktureller Weise verletzt wird. Wenn beispielsweise «Schwäche» nicht als schändlich angesehen wird, werden sich Betroffene nicht ausgeschlossen fühlen und auch eher Unterstützung suchen und bekommen.

Das Grundbedürfnis nach Integrität
Wenn ein Mensch seinen eigenen Werten nicht gerecht wurde und sich vor sich selbst schämt («Gewissensscham»), kann dies zu einer Verletzung der Integrität führen. Dabei geht es, gemäss Marks, nicht um die Erwartungen und Normen der anderen, sondern um die eigenen Werte.

Das heisst, den Mitgliedern unseres Careteams muss es möglich sein, ihre Fachkompetenz nach bestem Wissen und Gewissen einzusetzen. Das erfordert vor, während und nach dem Einsatz ein hohes Mass an Reflexion, Anpassung und Abgleich mit der Einsatzleitung, mit dem Auftraggeber und nicht zuletzt mit den eigenen (moralischen) Ansprüchen.

Moralisch richtiges Handeln beinhaltet auf der Unternehmerseite, dass Care-Massnahmen nicht als lästige Pflicht angesehen werden, sondern in der Grundhaltung verankert sind. Ehrlich gemeinte Sorge um die Mitarbeitenden multipliziert sich und schafft eine Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung, womit wir wieder bei der Anerkennung wären.

Petra Strickner ist Diplompsychologin, systemische Therapeutin, Notfallpsychologin und Supervisorin. Für Carelink ist sie seit 2012 als Notfallpsychologin im Einsatz. Seit 6 Jahren leitet sie das Freiwilligenteam.

 

 

 

 

 

 

image_print