Präventions-Trainings beugen Raubüberfällen vor

Frédéric Etter: «Angst in Handlung umsetzen – das kann der Mensch trainieren.»

«Räuber lieben Tankstellen», titelte der Tages-Anzeiger auf der Frontseite: 2015 seien allein im Kanton Zürich 16 Tankstellenshops überfallen worden. Derart gefährdete Personen können Raubüberfällen vorbeugen, indem sie das richtige Verhalten trainieren. Carelink hat mit dem ehemaligen Polizisten Frédéric Etter gesprochen. Er hat sich auf solche Trainings spezialisiert.

Herr Etter, angenommen, ich arbeite in einem Tankstellenshop, der bis in alle Nacht offen ist: Muss ich stets auf der Lauer sein?

Frédéric Etter: Egal wo Sie arbeiten oder wo Sie sich bewegen – Sie sollten grundsätzlich immer wachsam sein.

 

Muss ich immer gleich aufmerksam sein?

Frédéric Etter: Nein, das müssen Sie nicht. Ein Beispiel: Wenn Sie sich morgens in der Garage ins Auto setzen, sind Sie entspannt. Danach fahren Sie bewusst, aber ruhig durchs Quartier. Für das Einmünden in die belebte Hauptstrasse steigern Sie intuitiv Ihre Aufmerksamkeit, denn Sie wissen um die möglichen Gefahren. Auf der dicht befahrenen Autobahn dann werden Sie noch aufmerksamer, Sie haben die Gefahren um sich herum erkannt. Auch andere Situationen stufen Sie intuitiv nach diesem Muster ein, und entsprechend stellen Sie sich mental darauf ein.

 

Hat jeder Mensch Intuition?

Frédéric Etter: Ja, die Menschen sind von Natur aus intuitiv. Häufig aber trauen sie ihrer Intuition nicht. Dafür können sie trainieren, wie sie damit umgehen. Sie können lernen, ihre Aufmerksamkeit zu dosieren und sich so zu verhalten, dass es nicht zu einem Raubüberfall kommt.

 

Kann ich also mit meinem eigenen Verhalten einen Überfall verhindern?

Frédéric Etter: Um das Beispiel Tankstellenshop nochmals aufzugreifen: Sie grüssen jede Person, die den Shop betritt, und senden damit schon einmal das Signal aus «Ich habe Sie gesehen!». Auch mit Ihrem aufmerksamen Beobachten beugen Sie vor, denn der mögliche Täter realisiert, dass es für sein Vorhaben schwierig werden könnte. Kurz: Mit dem Verhalten, das Sie bewusst an den Tag legen, wirken Sie präventiv. Machen Sie hingegen einen unsicheren Eindruck, so lassen Sie den potenziellen Angreifer spüren, dass er leichtes Spiel haben dürfte.

 

Und wenn mich trotz Selbstsicherheit die Angst packt?

Frédéric Etter: Angst schützt uns. Hätten wir keine Angstgefühle, würden wir untergehen. Die Angst ist ein hervorragendes Alarmsystem. Wie ich mit der Angst bewusst und richtig umgehe und wie ich sie in Handlung umsetze, damit sie nicht zum schlechten Ratgeber wird, kann ich trainieren. Das Ziel ist es, die Kontrolle über die Situation zu behalten.

 

Wie funktioniert dieses Training?

Frédéric Etter: Wenn sich Ihnen ein möglicher Täter nähert, sind die ersten zwei bis fünf Sekunden entscheidend. Da haben Sie keine Zeit mehr, um zu überlegen, was nun zu tun sei. Diesen Ablauf müssen Sie vorher verinnerlicht haben. Er muss in Ihrem Stammhirn abgespeichert und dort sofort abrufbar sein. Darum macht die so genannte Drill-Phase etwa zwei Drittel unserer Ausbildung aus: Die Teilnehmenden setzen sich gespielten, aber realistischen Überfallsituationen aus und lassen sich bis zu 30 Mal drillen, wie sie sich zu bewegen, sich zu schützen und eine Kommunikation mit dem potenziellen Täter in Gang zu setzen haben. Wenn Sie im Verkauf oder am Schalter einer Bank arbeiten, befähigt Sie dieser Drill, unter Stress vorbeugend zu handeln.

 

Das vollständige Interview mit Frédéric Etter finden Sie im Carelink-Jahresbericht 2015. Dort schildert er auch, wie ein potenzieller Täter in der Regel auf ein im Voraus trainiertes Verhalten des Verkaufspersonals reagiert. Und er betont, dass die Prävention eines Raubüberfalls nicht mit Verteidigung zu verwechseln ist.

Lesen Sie den Carelink-Jahresbericht 2015 mit dem Schwerpunkt-Thema Notfallübungen online oder bestellen Sie Ihr persönliches Exemplar bei info@carelink.ch.

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