Lässt sich Resilienz trainieren?

Militärpsychologe Hubert Annen* über ein Programm der US-Armee.

Resilienz, die psychische Widerstandskraft gegenüber schwierigen Umständen, beschäftigt weiter. Carelink vertieft deshalb das an der Freiwilligentagung 2015 und im Newsletter lancierte Thema. Nach dem Interview mit Ulrike Ehlert – siehe Newsletter-Archiv – schildert jetzt Militärpsychologe Hubert Annen*, wie die US-amerikanische Armee damit umgeht.

Sowohl der berufliche als auch der private Alltag werden immer herausfordernder. Leistungs- und Zeitdruck, Informationsflut sowie die ständige Erreichbarkeit führen zu Stress oder Burnout. Dass dies regelmässig von den verschiedensten Presseerzeugnissen – vom Blick am Abend bis hin zu Fachzeitschriften – thematisiert wird, unterstreicht die Bedeutung, welche die Gesellschaft diesem Problem einräumt.

In diesem Zusammenhang stösst man vermehrt auf den Begriff der Resilienz, womit der erfolgreiche Umgang mit belastenden Situationen gemeint ist. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei nicht mehr die Stressoren, deren negative Folgen und die Behandlung der betroffenen Menschen. Vielmehr beschäftigt man sich mit den Faktoren, die einen Menschen befähigen, trotz schlimmer Erlebnisse oder schwieriger Rahmenbedingungen psychisch gesund zu bleiben und oft sogar daran zu wachsen. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Betrachtungsweisen. Zum einen geht man davon aus, dass Resilienz mindestens teilweise eine Veranlagung ist und Personen somit unterschiedliche Voraussetzungen haben, eine Herausforderung oder einen Schicksalsschlag zu meistern. Wie im physischen Bereich Ausdauer, Kraft und starke Gelenke vergleichsweise gute Voraussetzungen dafür sind, körperlichen Anstrengungen erfolgreich zu begegnen, gelten im mentalen Bereich Optimismus, erlebte Selbstwirksamkeit und Gelassenheit als hilfreich, um belastende Situationen schadlos zu überstehen. Zum anderen wird angenommen, dass Resilienz – ähnlich wie die physische Fitness – trainierbar ist.

 

200‘000 psychisch versehrte Soldaten

Dieser Ansatz diente der amerikanischen Armee als Basis, als sie vor fünf Jahren das Programm für «Comprehensive Soldier and Family Fitness» einführte. Bis zu jenem Zeitpunkt waren mehr als 1,6 Millionen Soldaten im Kriegseinsatz im Irak oder in Afghanistan gewesen. Ausgehend von der vorsichtigen Schätzung, dass 12 bis 15 Prozent dieser Soldaten mehr oder weniger stark psychisch traumatisiert nach Hause zurückgekehrt waren, kam man auf die beeindruckende Zahl von 200‘000 psychisch versehrten Armeeangehörigen. Dass unter diesen Umständen der klassische Diagnose-/Behandlungsansatz nicht ausreichte, lag auf der Hand. Also verlagerte man mit der Initialisierung eines Resilienztrainings den Schwerpunkt auf die Prävention, deren Ziel der damalige Stabschef der Armee, George W. Casey, auf den Punkt brachte: «(…) so our soldiers can ‚be‘ better before deploying to combat, so they will not have to ‚get‘ better after they return.»

 

Ausbildung zum Master Resilience Trainer

Um innert kurzer Frist möglichst viele Armeeangehörige erreichen zu können, wurde ein Train-the-Trainer-Ansatz gewählt. Dabei werden Unteroffiziere während eines zehntägigen Intensivkurses zu so genannten Master Resilience Trainers (MRT) ausgebildet. Der MRT-Kurs besteht aus vier Modulen. Im ersten werden die Teilnehmenden mit dem Konzept der Resilienz bekannt gemacht. Danach geht es im zweiten Modul um die relevanten Kernkompetenzen von Resilienz und insbesondere, wie man sie erlernen und weiterentwickeln kann. So werden unter anderem die persönlichen Denkmuster erörtert und die Frage, inwiefern sie sich in bestimmten Situationen ungünstig auswirken. Zur Anwendung gelangen dabei bewährte Methoden aus der kognitiven Verhaltenstherapie oder aus der Sportpsychologie. Im dritten Modul identifizieren die Teilnehmenden die eigenen Charakterstärken, um dann zu besprechen, wie sie zum Beispiel Humor, Mut, Beharrlichkeit oder Weisheit nutzen können, um das Teamwork zu verbessern oder unüberwindbar scheinende Hindernisse zu überwinden. Schliesslich steht im vierten Modul das Aufbauen und Stärken von Beziehungen im Zentrum. Geübt werden dabei das aktive Zuhören und Antworten, das Zeigen von Wertschätzung sowie die zielführende Anwendung verschiedener Kommunikationsstile. Dergestalt ausgebildet, kehren die Unteroffiziere zu ihren Einheiten zurück und geben ihr Wissen den Soldaten weiter.

 

Der Effekt des Resilienztrainings

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob dieses Training denn auch wirkt. Die bisherigen Evaluationen zeigen, dass Soldaten in Einheiten, in denen das Resilienztraining durchgeführt worden ist, ihre Resilienz und mentale Stärker deutlich höher einschätzen als ihre Kameraden, die das Training nicht durchlaufen haben. In spezifischeren Untersuchungen stellte man zudem fest, dass das Resilienztraining den Optimismus sowie die Anpassungsfähigkeit der Teilnehmenden verbessert, was wiederum zu einem Rückgang an psychischen Problemen führt. Und mit der Beobachtung, dass in Einheiten mit Resilienztraining der Alkohol- und Drogenmissbrauch abnimmt, konnte sogar ein objektiver Effekt nachgewiesen werden.

Im Rahmen der Studien stiess man überdies noch auf Faktoren und Bedingungen, welche die Wirkung des Trainings begünstigen. So scheinen jüngere Soldaten zwischen 18 und 24 Jahren besser auf die Intervention anzusprechen als ältere Armeeangehörige. Besonders wichtig ist jedoch, dass das Training ein Bestandteil des offiziellen Ausbildungsprogramms ist, die Master Resilience Trainer sorgfältig ausgewählt werden und ihre Aufgabe seriös und motiviert wahrnehmen und dass das ganze Programm von den Vorgesetzten sichtlich unterstützt wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Ansatz des Resilienztrainings einiges verspricht. Wunder kann und soll man jedoch nicht erwarten. Ist das Resilienztraining richtig eingebettet, dürften sich indes positive Effekte einstellen. Diese Erkenntnis dient sicher auch weiteren Organisationen, etwa aus dem Gesundheits- und dem Blaulicht-Bereich, denn Resilienztrainings setzen ein deutliches Zeichen für eine Unternehmenskultur, in der Sorge zu den Mitarbeitenden getragen wird.

 

* Dr. phil. Hubert Annen ist Psychologe und Dozent für Militärpsychologie und Militärpädagogik an der Militärakademie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.