Im Spital ist alles sehr anders in diesen Zeiten.
Ethikerin und Theologin Karin Kaspers Elekes im Gespräch
Wie kann ein Spital zu Corona-Zeiten Mitarbeitende und Angehörige entlasten? Die Pädagogin und Theologin Karin Kaspers Elekes* ist auch in psychologischer Nothilfe und in «Spiritual Care» ausgebildet. Am Kantonsspital Münsterlingen gehört die Leitung des Ethikforums zu ihren Aufgaben. Karin Kaspers Elekes spricht von Vertrauen als Ressource – auch von Beziehung und früher Trauer.
Die zweite Corona-Welle ist heftiger als die erste. Falls die Kapazitäten auf den Intensivstationen nicht ausreichen sollten, könnten die Pflegenden und Behandelnden mit ethischen Fragen konfrontiert werden, wie sie während der ersten Corona-Welle diskutiert wurden. Wie lösen Sie dieses allfällige Dilemma am Kantonsspital Münsterlingen?
Karin Kaspers Elekes: Dilemmata haben es an sich, dass sie – welche Lösung auch immer angestrebt wird – keine «Ideallösung» kennen. Wir versuchen in höchstem Masse, Kapazitäten an die sich abzeichnende Situation anzupassen. Vorausschauende, flexible Planung in aller Planungsunsicherheit, so würde ich die Strategie nennen.
Sehr wesentlich erscheint mir überdies die bereits in der ersten Welle geleistete, breit abgestützte ethische Reflexion von Entscheidungskriterien und -strukturen, falls sich im Lauf dieser Pandemieperiode die Ressourcen verknappen sollten.
Für schwierige, existenzielle Krisensituationen haben wir ein Kriseninterventionsteam eingerichtet. Darin sind die Kompetenzen so verteilt, dass besonders betroffene Bezugspersonen ebenso profitieren können wie Teams und einzelne Mitarbeitende.
Überhaupt: Wie unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden in diesen anspruchsvollen Zeiten?
Karin Kaspers Elekes: Die Sorge, mit Situationen konfrontiert zu werden, in denen es schwierig oder unmöglich wird, den ethischen Ansprüchen auch an die eigene Person gerecht zu werden, macht etwas mit den Menschen, schon bevor es zu einer solche Herausforderung kommt. Darum ist das Vertrauen innerhalb der interprofessionellen Behandlungsteams derzeit eine wichtige Ressource. Offen Fragen zu stellen, Skepsis rechtzeitig zu äussern und manchmal auch einen schweren Entscheid miteinander zu tragen, das stärkt sowohl die Teams als auch die einzelnen Teammitglieder. Was bedeutet, dass unter den erschwerten Bedingungen die Kommunikation im Team besonders wichtig ist.
Aber auch Gespräche im Sinn notfallpsychologischer Interventionen nach aussergewöhnlich belastenden Situationen können helfen. Am Kantonsspital Münsterlingen bieten wir den Mitarbeitenden diese Unterstützung rund um die Uhr an. Und auch wenn über spirituelle Ressourcen nicht so oft gesprochen wird: In Krisenzeiten werden sie auch bei professionell im Gesundheitswesen Tätigen zum Thema.
Wie gehen die Menschen in Ihrem Umfeld mit Trauer um, wenn sie die sonst üblichen, stabilisierenden Abschiedsrituale nur eingeschränkt, wenn überhaupt, vollziehen können?
Karin Kaspers Elekes: Trauernde haben derzeit wenig Raum, um ihre Verlusterfahrungen mit anderen zu teilen. Und das in einer Gesellschaft, in der die Angst vor dem Sterben das «Klima» aktuell dauerbelastet. Zudem trauert diese Gesellschaft gerade um ihre Sicherheit, die sie lange Zeit als normal betrachtet hat.
Nach meiner Erfahrung führt dies einerseits dazu, dass Trauerrituale noch individueller gestaltet werden, weil die traditionellen Abschiedsrituale unter den aktuellen Bedingungen nur schwer gelebt werden können. Andererseits ziehen sich Trauernde vermehrt zurück, die Resonanzräume für ihre Erfahrungen sind begrenzt auf Grund des «Social Distancing». Nicht selten bekommen Trauernde auch die Angst von Menschen zu spüren, sich zum Beispiel mit dem Coronavirus anzustecken – selbst wenn ein ganz anderer Sterbegrund vorliegt. Nicht wenige Trauernde erzählen heute, Skepsis zu begegnen und gemieden zu werden.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Menschen, die in tragenden Beziehungen zu Nachbarn und Freunden leben, berichten von starker Unterstützung in der Abschiedsphase, die sich oft ganz konkret zeige: Einkaufen, Kochen – was eben gerade anstehe, werde ihnen abgenommen. Der Philosoph Martin Buber sagte wohl berechtigt: «Das ganze wirkliche Leben ist Beziehung.»
Da sind Sie mit divergierenden Bedürfnissen konfrontiert.
Karin Kaspers Elekes: Wir legen viel Wert auf das Angebot, Angehörige bereits früh und kontinuierlich zu begleiten, auch wenn noch nicht unbedingt zu erwarten ist, dass ein kranker Mensch sterben wird. Trauer beginnt viel früher.
Wir nehmen die antizipierende Trauer von Patientinnen und Patienten sowie von deren Bezugspersonen sehr ernst, ihre psychischen und spirituellen Bedürfnisse – vor allem unter den derzeit gegebenen Bedingungen eingeschränkter Kontaktmöglichkeiten während eines Spitalaufenthalts. Wie Trauer und Abschied gelebt werden können, das entscheidet letztlich mit über die Rückkehr in das durch den Verlust eines Menschen veränderte Leben.
* Karin Kaspers Elekes ist diplomierte Pädagogin und Theologin. Sie ist zudem in psychologischer Nothilfe ausgebildet und hat sich kürzlich zum «Master of Advanced Studies (MAS) in Spiritual Care» weitergebildet. Der berufsbegleitende Lehrgang der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, den sie inzwischen mitleitet, befähigt im Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Tod zum Einbezug der spirituellen Dimension: https://spiritual-care.weiterbildung.unibas.ch/de/home/