Dr. Daniela Blickhan: Das psychische Immunsystem stärken
Zwei Bilder sind den Zuhörenden aus Daniela Blickhans Referat vermutlich besonders in Erinnerung geblieben: Golfbälle und Seifenblasen. Die Psychologin beschäftigt sich mit der Frage, wie wir die Wahrnehmung vermehrt auf das Positive lenken und so unsere Resilienz stärken können.
«Mein Ziel ist, dass Sie heute Nachmittag hier herausgehen und sagen ‘Diese eine Sache, die werde ich ausprobieren’», sagt die Referentin zu Beginn. Daniela Blickhan ist seit 35 Jahren als Psychologin, Coach und Trainerin tätig und befasst sich seit bald 20 Jahren mit der Positiven Psychologie, der Wissenschaft vom gelingenden Leben und Arbeiten – oder noch schöner: the science of what goes right in life.
Dann stellt sie dem Publikum eine Frage: «Worüber haben Sie sich heute schon gefreut, und was löst diese Erinnerung in Ihnen aus?» Ziel ist ein Perspektivenwechsel, ein neuer Fokus. Wir sollen von «Gehirnbesitzern» zu «Gehirnbenutzern» werden. Unser Gehirn funktioniert nämlich mehr oder weniger noch gleich wie vor etwa 50’000 Jahren. Wir haben einen negativity bias – eine negative Verzerrung: Negative Gefühle wie zum Beispiel Angst oder Ärger springen schneller in den Vordergrund und bestimmen sowohl unsere Wahrnehmung als auch unser Verhalten. Und diese Verzerrung hatte durchaus ihre Berechtigung: Vor 50’000 Jahren gab es Säbelzahntiger – Angst war überlebenswichtig. Doch unseren Vorfahren begegnete nur ab und zu ein Säbelzahntiger – die Gefahren unserer modernen Welt sind vielfältiger und dauerhafter; man denke nur an die Klimakrise, politische Verwerfungen oder aktuelle Kriegsereignisse. Und so kann diese negative Verzerrung in unserem Gehirn weitreichende Folgen haben.
Golfbälle und Seifenblasen
Hier kommen die Bälle und Blasen ins Spiel: Unangenehme Gefühle vergleicht Daniela Blickhan mit einem Golfball, der uns mit Wucht trifft. Angenehme Gefühle sind hingegen wie Seifenblasen: langsamer, zerbrechlich, ablenkbar. «Wenn ein Golfball in Seifenblasen hineinfliegt, kann man sich vorstellen, was passiert», so Daniela Blickhan.
Was löst bei uns Stress aus? Daniela Blickhan erwähnt drei Kriterien, die erfüllt sein müssen:
- Etwas ist neu und wir haben keine Strategie, um damit umzugehen.
- Es ist bedrohlich und schwer einschätzbar.
- Es liegt ausserhalb unserer Kontrolle und wir können es nicht beeinflussen.
Chronischer Stress macht krank
Bei Stress übernimmt unser Mittelhirn, das für die Gefahrenerkennung verantwortlich ist, die Kontrolle. Das Grosshirn, das unter anderem für Denken, Sprechen und Entscheiden zuständig ist, wird gehemmt. Chronischer Stress kann uns krank machen, wenn wir moderne Stressoren wie zum Beispiel eine Mailflut als “Gefahr” interpretieren und dann entweder kämpfen, fliehen oder – im schlimmsten Fall – erstarren.
Um psychisch gesund zu bleiben, brauchen wir mehr Seifenblasen. Aber wie können wir das unserem 50’000 Jahre alten Gehirn beibringen?
Wir können das Gehirn trainieren, damit es die positiven kleinen Momente wahrnimmt, sagt Daniela Blickhan. «Menschen, die gelernt haben, Seifenblasen wahrzunehmen, stehen anders im Leben, wenn ein Golfball daherkommt», sagt sie. Später präzisiert sie im Podiumsgespräch: Positive Psychologie hat nichts mit toxic positivity zu tun. Nur wer einen genügend grossen emotionalen Schwingungsbereich – nach oben und nach unten – zur Verfügung hat, kann auch wirklich positive Emotionen wahrnehmen.
Der positive Tagesrückblick
In Experimenten konnte man zeigen, dass positive Gefühle Stress «ungeschehen» machen können und sogar einen positiven Effekt auf die Herzgesundheit haben. Mit dem positiven Tagesrückblick können Sie dies selbst ausprobieren: Was war heute schön? Und wie habe ich dazu beigetragen? Im Team kann eine Sitzung mit zwei Fragen eröffnet werden: Was war gut seit dem letzten Mal, und wie haben wir das hinbekommen? Oder vorwärtsorientiert: Worauf freue ich mich heute, und wie kann ich dazu beitragen, dass das eintritt?
Wer sich regelmässig darin übt, Seifenblasen wahrzunehmen, steigert sein Wohlbefinden und reduziert Stress. Dies ist auch das Geheimnis resilienter Menschen: Sie nutzen positive Emotionen, um sich nach Belastungen zu erholen. Aber wieso gewinnt die Positive Psychologie erst jetzt langsam an Relevanz? Diese Frage stellt Moderator Patrick Rohr nach dem Referat. Daniela Blickhan nennt zwei Gründe. Die beiden Weltkriege haben so viel Leid gebracht, dass sich der Fokus der Psychologie – zu Recht! – auf das Lindern des Leids verlagert hat. Zudem ist die positive Psychologie eigentlich viel älter: Bereits Aristoteles und andere Philosophen aus dem antiken Griechenland haben sich mit dem eudaimonischen Wohlbefinden befasst und mit der Frage, was dem Leben Sinn gibt.
Höchste Zeit also, dass wir die Erkenntnisse der Positiven Psychologie für unser Leben nutzen. Worüber haben Sie sich heute schon gefreut?
Artikel: Positives für ein gelingendes Leben
