Dr. Andreas M. Krafft: Unsere Hoffnung, unsere Ängste, unsere Zukunft

Welche Folgen haben die gesellschaftlichen Entwicklungen auf den einzelnen Menschen? Diese Frage steht im Zentrum von Andreas Kraffts Referat. Die Antwort: Es hängt stark davon ab, wie wir uns selbst und die Welt um uns herum sehen.

Der Zukunftsforscher weist gleich zu Beginn auf ein Paradoxon hin: Zukunft gibt es gar nicht. Sobald sie da ist, ist sie nämlich Gegenwart. «Zukunft passiert immer zwischen zwei Ohren, in unserem Kopf», sagt er. Und es gibt grundsätzlich zwei Arten, wie wir sie wahrnehmen:

  • Die Zukunft kommt auf uns zu wie ein Tsunami, bedrohlich und zerstörend. Dieses Bild führt zu Angst und Perspektivenlosigkeit und zum Wunsch, uns zu schützen und abzuschirmen. Und dies wiederum erklärt den Wunsch nach dem «starken Mann» oder der «starken Frau» in der Politik sowie den Egoismus im individuellen Bereich.
  • Wir gehen in die Zukunft. Diese Haltung ist aktiv, ich kann etwas tun. Die Zukunft ist unsicher und kann gefährlich sein, aber es schwingen auch Horizonterweiterung, Aufbruchstimmung, Begeisterung und Hoffnung mit. Der Weg in die Zukunft ist – wie eine Bergwanderung – nicht einfach, deshalb gehen wir ihn gemeinsam und unterstützen uns gegenseitig.

Wie die Zukunft sein wird, wissen wir nicht, sagt Andreas Krafft. Aber wir können fragen: Wie soll die Zukunft sein?

Krisenszenarien und Pessimismus
Mit dem Hoffnungsbarometer untersucht Andreas Krafft seit 2009 in rund 20 Ländern, wie die Bevölkerung die Zukunft sieht. Das Ergebnis für die Schweiz im Jahr 2025 ist eindeutig: 87 % halten ein Krisenszenario für wahrscheinlich – nur 22 % gehen davon aus, dass ein «Flourishing-Szenario» – ein Zeitalter der Nachhaltigkeit, des Friedens und des Wohlstands – eintritt.

Besonders bei der jüngeren Bevölkerung ist der Pessimismus gross. «Die meisten jungen Menschen gehen nicht davon aus, dass sie ein besseres Leben haben werden als ihre Eltern», sagt Andreas Krafft. Dies gilt insbesondere für die reiche, entwickelte Welt, wo der Lebensstandard bereits sehr hoch ist.

Hoffnung ist die andere Seite der Medaille
Bei vielen Menschen löst also der Gedanke an die Zukunft Angst- und Stressreaktionen aus. Diese negative Emotion setzt den Fokus auf die Gefahr und führt zu Symptomen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Schlaflosigkeit, Unruhe, Wut, angespannte Muskulatur und mehr. Das Problem ist, dass wir weder vor der Zukunft flüchten noch sie angreifen können. Wohin also mit den Emotionen? Andreas Kraffts These: «Meistens leiden unsere Mitmenschen darunter – sei dies in der Schule, zuhause oder bei der Arbeit.»

Die Hoffnung ist die andere Seite der Medaille. Denn Hoffnung ist nicht blinder Optimismus nach dem Motto «alles wird gut». Hoffnung bedeutet «Es könnte nicht gut kommen, aber …». Sie baut Ressourcen auf, erweitert den Horizont, öffnet neue Möglichkeiten, erkennt Chancen, entwickelt Optionen, nutzt Potenziale und verbindet uns. «Hoffnung ist die Voraussetzung für unser Handeln und zugleich die Anerkennung der eigenen Grenzen», bringt es Andreas Krafft auf den Punkt. Und da wir vieles nicht allein schaffen, öffnen wir uns für die Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit mit anderen.

Die geschenkte Zukunft
Mit der Hoffnung tritt anstelle von Ängsten und Sorgen ein Herzenswunsch und anstelle von Hindernissen und Schwierigkeiten die Willenskraft. «Mit Vertrauen in die Stärken und Hilfe sowie dem Glauben an die Möglichkeit der Zukunft arbeiten wir auf unser Ziel oder Ideal hin», so der Zukunftsforscher.

Sein Fazit: Es gibt eine dritte Art, wie wir über die Zukunft denken können. Die geschenkte Zukunft. Das wissen vor allem Menschen, die eine Krise wie einen Schicksalsschlag oder eine schwere Krankheit erlebt haben. «Die Frage sollte also lauten: Was machen wir mit unserer geschenkten Zukunft?»

Nach dem Referat will Patrick Rohr von Andreas Krafft wissen, was jungen Menschen mehr Hoffnung geben kann. «Es gibt viele Menschen, die etwas tun. Und zusammen etwas zu tun, bedeutet, sich als selbstwirksam zu erleben.», sagt Andreas Krafft. «Ich möchte meine Studierenden befähigen, ihre eigene Zukunft zu gestalten und ihnen sagen: ‘Ihr habt es in der Hand’. Dann sieht die Welt ganz anders aus.»