Bewusst präventiv wirken

… und sich dennoch für den Notfall rüsten.

Wie kann eine Schule einem Unglück wie etwa einem Amoklauf konkret vorbeugen? Wie verhält sie sich, wenn es doch zu einem tragischen Zwischenfall kommt? Eva Schuster Michel, Leiterin der Schulverwaltung Dietlikon, gibt Einblick in ihre Vorkehrungen.

Frau Schuster, Sie und die Lehrpersonen, welche die rund 800 Kinder und Jugendlichen in Dietlikon unterrichten, beschäftigen sich immer wieder mit Themen wie Konfliktlösung und Vermeidung von Amokläufen. Welche Erfahrungen haben zu Ihrem sehr bewussten Umgang mit dem Thema geführt?

Eva Schuster Michel: Wir haben bis jetzt zum Glück noch nie ein derart folgenschweres Ereignis wie einen Amoklauf bewältigen müssen. Doch der Amoklauf an einer Realschule im deutschen Winnenden im März 2009 war für uns wie ein Weckruf. Darauf haben wir eine Auslegeordnung gemacht: Welche Mittel zur Prävention und zur Bewältigung solcher Krisen stehen uns zur Verfügung?

Ein sehr praxisbezogenes Konfliktlösemodell hatten wir schon. Es dient uns bis heute als Leitfaden, um Probleme zwischen Lehrpersonen einerseits und Schülerinnen und Schülern andererseits oder Konflikte zwischen Erwachsenen einer Lösung zuzuführen. An erster Stelle steht da natürlich immer das direkte Gespräch.

Auch einen Krisenstab gab es bereits. Ihm würden im Minimum der Schulpräsident, der Schulleiter oder die Schulleiterin der betreffenden Schule und ich selber als Leiterin der Schulverwaltung angehören. In den meisten Fällen würde auch der Schulsozialarbeiter im Krisenstab mitarbeiten.

 

Das allein genügte Ihnen aber noch nicht. Der Katalog an Eventualitäten ist ja auch relativ lang: Da kann ein Kind oder eine Lehrperson gemobbt werden, ein Zwischenfall kann die Schulreise oder das Schullager überschatten, oder eine Person setzt ihrem Leben ein Ende. Wie haben Sie sich auf solche Ereignisse vorbereitet?

Eva Schuster Michel: Das ist genau die Frage, die wir uns nach dem Amoklauf in Winnenden gestellt haben! Um sie systematisch zu beantworten, haben wir – zusammen mit Carelink – ein Konzept erarbeitet. Es geht von verschiedenen Arten von Ereignissen aus und dient uns nun als Checkliste, die wir bei Bedarf sofort zur Hand haben, um schnell und kompetent handeln zu können. Jede unserer Lehrpersonen weiss, in welchem Fall sie wen informieren oder alarmieren muss. Die Checkliste verleiht uns Sicherheit. Sie hilft uns auch beim Entscheid, ob wir ein Ereignis im Alleingang bewältigen können oder ob wir im Krisenstab die Kompetenzen von Carelink beanspruchen.

 

Gut zu wissen, was im Ernstfall zu tun ist! Denn wenn dieser eintritt, ist es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Hat Sie das Erarbeiten dieses Notfallhandbuchs darüber hinaus auch für das Thema der Prävention weiter sensibilisiert?

Eva Schuster Michel: Auf jeden Fall! Unser Bewusstsein ist weiter gewachsen, und die Prävention ist zu einem festen Bestandteil unseres Denkens und Handelns geworden. Ohnehin sind Lehrpersonen heute keine Einzelkämpferinnen und -kämpfer mehr. Sie tauschen sich gegenseitig aus und achten auf allfällige Verhaltensänderungen einzelner Schülerinnen oder Schüler, die schlimmstenfalls auf eine bevorstehende Gewalttat hinweisen könnten. Auch die Schulhauswarte sind achtsam – und durch ihre Integration in die Lehrteams genauso sensibilisiert.

Weiterer Punkt: Die Informatik ist zu einem Unterrichtsfach geworden, und unsere Jugendlichen lernen, wie sie sich im Internet und in ihrer persönlichen Kommunikation, etwa auf Facebook, verantwortungsbewusst verhalten. Deshalb würde auffallen, wenn ein Schüler zum Beispiel stets die gleichen fragwürdigen Websites besuchen oder zweifelhafte SMS verschicken würde.

Gerade hier kommt uns allerdings entgegen, dass unsere Schule in Dietlikon mit drei Kindergärten und drei Schulhäusern eine überschaubare Grösse hat. Zudem pflegen wir grundsätzliche einen respektvollen Umgang – auch das ist Prävention, zumindest eine niederschwellige.

 

Haben Sie – ebenfalls im Sinne einer Prävention – Kontakt zu Blaulichtorganisationen?

Eva Schuster Michel: Unabhängig vom Gedanken etwa an einen Amoklauf führen wir jedes Jahr eine Übung mit der Feuerwehr durch. Dabei geht es jeweils um die Evakuierung eines unserer Schulhäuser oder Kindergärten. Die Mitglieder unserer örtlichen Feuerwehr kennen unsere Gebäulichkeiten unterdessen in- und auswendig, und das ist gut so.

 

Trotzdem: Die Tatsache, dass Jugendliche heute eher zu Gewalt neigen als noch vor zehn Jahren, lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Prävention kann deshalb kaum genug stark gewichtet werden!

Eva Schuster Michel: Die Frustrationsgrenze der Jugendlichen ist in der Tat gesunken. Das Klima ist gereizter und das Gewaltpotenzial höher. Persönlich schätze ich die Gefahr an Gymnasien und Berufsschulen allerdings höher ein als bei uns. Auch die Medien sind aggressiver geworden, und über die neuen Medien verbreiten sich Schreckensnachrichten in Windeseile.

Wir sprechen regelmässig über die Prävention und handeln entsprechend. Unsere Checkliste überprüfen wir jedes Jahr und aktualisieren sie wenn nötig. Unsere Lehrpersonen wissen darum auch, dass sie den Medienleuten nicht Red und Antwort stehen müssen. Das können sie mir überlassen.

 

Ein kurzes Fazit, Frau Schuster?

Eva Schuster Michel: Als Schulbehörde sind wir heute ausschliesslich strategisch tätig. Unsere Auseinandersetzung mit Themen wie Amoklauf und Prävention betrachte ich eindeutig als weitere Professionalisierung. Schliesslich haben wir es mit Gefahren zu tun, die nicht nur von innen, also vom Innern der Schule, nach aussen wirken könnten, sondern auch von aussen nach innen. Umso wichtiger finde ich es, dass eine Schule auch bei professionellen externen Partnern wie Carelink Unterstützung sucht.