Betreuen heisst Ressourcen aktivieren

Erkenntnisse aus dem Kurs im Paraplegiker-Zentrum.

Erstmals hat Carelink im März und April zusammen mit dem Schweizer Paraplegiker-Verein (SPV) einen Kurs durchgeführt: Mitglieder des Freiwilligenkorps haben sich im Umgang mit Querschnittgelähmten und in der Handhabung von Rollstühlen geübt.

Auf den ersten Blick stellen sich zwei Fragen: Was hat eine querschnittgelähmte Person mit einer Person gemein, die zum Beispiel von einem Überfall betroffen ist? Und warum soll ein Caregiver einen Rollstuhl bedienen können?

Die zweite Frage lässt sich sehr schnell beantworten: Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Caregiver eine Person betreuen muss, die kurzfristig auf einen Rollstuhl angewiesen ist, weil sie leicht verletzt worden ist oder sich aufgrund des Erlebten unwohl fühlt. Die Tricks und vor allem die Tücken eines Rollstuhls zu kennen, ist deshalb hilfreich. «Das Rollstuhltraining war tatsächlich der Höhepunkt des Kurses», berichtet Caregiver Nicole Stucki. «Die eigenen Hemmungen gegenüber behinderten Menschen zu überwinden und jemanden im Rollstuhl heil über eine Treppe oder einen Naturweg zu bringen, anschliessend die Seite zu wechseln und sich im Rollstuhl sitzend jemandem anzuvertrauen, das war eine lehrreiche Erfahrung», sagt Nicole Stucki. Vertrauen ist für einen Caregiver oder eine Psychologin ohnehin entscheidend: Um die Bedürfnisse der Betroffenen zu erkennen und ihnen zu entsprechen, muss er oder sie zuerst Vertrauen mit ihnen aufbauen. Wie wichtig, aber je nach Situation auch wie schwierig es ist, einem fremden Menschen zu vertrauen, war im Rollstuhl am eigenen Leib zu erfahren: Ist kein Vertrauen da, verursacht nur schon ein leichtes Kippen des Rollstuhls nach hinten Verunsicherung. Und eine Treppe hinuntergerollt zu werden, wird zum reinsten Stress! Klar, es war ein Kurs, und die Teilnehmer hatten es lustig – weil sie wieder auf zwei Beinen weggehen konnten.

 

Ressourcen aktivieren

Wie ist es aber, wenn man seine Beine nicht mehr benützen kann, wenn die Diagnose nach einem Unfall «Querschnittlähmung» lautet? Kursleiter Urs Styger, Bereichsleiter Kultur & Freizeit beim SPV, zeigte dies in seinen Schilderungen und mit einem Film auf. Dabei wurde schnell klar: Es gibt einige Berührungspunkte zwischen der Betreuung eines Paraplegikers oder einer Tetraplegikerin und dem, was ein Caregiver macht. In beiden Situationen gilt es, zuerst einmal Hemmungen abzubauen und die andere Person so zu nehmen, wie sie ist: Paraplegiker, verletzt, schockiert, betroffen, traurig, behindert. Entscheidend ist darauf, wiederum in beiden Situationen, die Ressourcen der betroffenen Person zu aktivieren, damit sie so rasch wie möglich so selbstständig wie möglich wieder handeln kann. Im Grunde ist das die Aufgabe vieler Berufsgruppen. Egal ob Arzt, Krankenschwester, Psychologin, Lehrer, Eltern, Vorgesetzte – ihnen allen geht es immer darum, die Fähigkeiten anderer zu fördern, um sie weiterzubringen. Und dies bedingt stets, Bedürfnisse richtig zu erkennen, Lösungsansätze gemeinsam zu erarbeiten und … loszulassen. Das sollen Caregivers tun, nachdem sie Betroffene für kurze Zeit betreut haben. Und das tun Physiotherapeuten, Pflegefachleute, Angehörige von Paraplegikern tagtäglich. Wie viele Ressourcen im Menschen stecken, vermochte Urs Styger eindrücklich zu zeigen.

Der Kurs konnte die Teilnehmenden für das Thema Querschnittlähmung sensibilisieren, aber auch, wie Caregiver Leonie Brühlmann es ausdrückte, «das Verständnis für Körperbehinderte erhöhen und die Wahrnehmung des Menschen als Ganzes fördern.»

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